Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
»Eine dringende Botschaft, Herr!«,
hörte er seinen Kammerherrn aufgeregt rufen, aber da hatte sich Dorothea
bereits aus seiner Umarmung gelöst und war samt Kleid hinter dem Wandschirm
verschwunden.
Johann von Brunn, nicht ganz so reaktionsschnell wie
sie, blickte sich unschlüssig um. Dann zupfte er seine Tunika zurecht, nahm
seinen Becher und füllte ihn bis zum Rand. »Herein damit!«, rief er im gleichen
Moment aus.
Ob sein Kammerherr von den Schäferstündchen mit
Dorothea wusste, hatte von Brunn bislang nicht herausgefunden. Für den Fall,
dass dem so war, sah man es ihm jedenfalls nicht an. Insbesondere nicht jetzt.
Hieronymus von Weißenfels, pedantisch, stocksteif und stets auf Etikette
bedacht, stürmte geradezu in das Gemach und kam erst kurz vor dem Schreibtisch
des Bischofs zum Stehen.
Johann von Brunn, nach außen die Ruhe selbst, nahm
einen kurzen Schluck, stellte den Becher ab und ließ den schwer atmenden, knapp
50-jährigen Mann mit den Triefaugen dabei nicht aus den Augen. Er war auf alles
gefasst, nur eben nicht auf das, was der Brief enthielt, den sein Kammerherr
wie eine Trophäe in der Hand schwenkte: »Eine dringende Botschaft des
Fürstabtes zu Fulda!«, keuchte von Weißenfels und hatte Mühe, sein
Gleichgewicht zu halten. »Um sie Euer Gnaden zu überbringen, hat der Kurier
drei Pferde zuschanden geritten!«
Dann muss es der alte Tugendbold ja verdammt eilig
haben!, dachte von Brunn im Stillen und hatte Mühe, seine Antipathie gegen den
Fürstabt für sich zu behalten. »Zeig Er mal her!«, fuhr er seinen Kammerherrn
stattdessen an, in der Absicht, die Sache möglichst schnell hinter sich zu
bringen. »Hat das denn nicht bis morgen Zeit?!«
»Wohl kaum!«, entgegnete von Weißenfels in weinerlichem
Ton. »Der Bote hat mich dringend ersucht, Euch diese Botschaft umgehend zu
überbringen und …«
»Und was?!«
Aufgrund des barschen Tonfalls zuckte der Kammerherr
kurz zusammen, ermannte sich dann aber und sprach: »Und er hat Euch im Namen
des Fürstabtes zu Fulda gebeten, den Brief nach vollendeter Lektüre zu
vernichten. Und zwar möglichst diskret.«
»Er hat was?!« Ein Gedanke, so qualvoll, dass er ihm
fast körperliche Schmerzen zufügte, stahl sich heimlich, still und leise in das
bischöfliche Gehirn. Johann von Brunn erblasste, und als er das Siegel des
Fürstabtes von Fulda erbrach, begann seine Hand leicht zu zittern. Der
Kammerherr sah es mit Staunen, tat aber so, als bekäme er nichts mit.
Den Brief in der Linken, während die Rechte nach dem
silbernen Kelch tastete, wich auch noch der letzte Rest von Farbe aus von
Brunns Gesicht. Seine Augen weiteten sich, zuerst vor Erstaunen, dann jedoch,
je mehr er von dem Brief las, vor blankem Entsetzen.
»Hoc signo victor eris!«, stammelte der Bischof immer
wieder und bekam nicht einmal mit, dass er den Kelch umstieß und sich der
blutrote Falerner in Strömen über seinen Schreibtisch ergoss.
*
Gasse vor
Agilulfs Haus im Hauger Viertel,
kurz vor
Sonnenuntergang
Als sich die Tür ihrer Kate hinter der Frau des Reliquienhändlers
schloss, tauchte Bruder Wilfried in den Schatten des gegenüberliegenden Hauses
ein und holte tief Luft. Wenn er gewusst hätte, was ihn in Würzburg erwartete,
wäre er zu Hause geblieben, Bruder Hilpert hin oder her.
Es war kurz vor Sonnenuntergang, und der Himmel im
Osten, zuvor noch ockerfarben, verfärbte sich langsam rot. Für die Jahreszeit
ein wenig zu kühl, tat die frische Luft dem Stallmeister trotzdem gut, und als
er Atem geschöpft hatte, wagte sich Bruder Wilfried wieder aus seiner Deckung
hervor.
Die Gasse in der Nähe des Spitaltores, eine
Aneinanderreihung strohbedeckter, aus Lehm, Feldsteinen und Weidengeflecht
errichteter Katen, lag in tiefem Dunkel. Obwohl sich Bruder Wilfried eigentlich
vor nichts fürchtete, überkam ihn ein Frösteln. Bruder Hilperts Auftrag, die
Frau des Reliquienhändlers zu beschatten, war eine Sache, dabei nicht selbst in
Gefahr zu geraten, eine andere.
Die Stille ringsum war vollkommen, geradezu
erdrückend. Aus den Abzugslöchern der Häuser stiegen spindeldürre Rauchsäulen
auf, und der Geruch von Kohlsuppe, Graupen und Hafergrütze lag in der Luft. Vor
den Türen, in den meisten Fällen lediglich ein Bretterverhau, häufte sich der
Unrat, ein Paradies für die Ratten, die es jetzt, bei Sonnenuntergang, überall
aus den Löchern trieb. Bruder Wilfried musste sich die Nase zuhalten, denn der
Geruch nach Essen, Küchenabfällen und
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