Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
dennoch, fürchte ich, ist dies die Wahrheit, so
bitter sie uns auch erscheinen mag: Wisse denn, Bruder im Amte, dass die Gräber
der heiligen Kunigunde und des zweiten Kaisers mit Namen Heinrich, daselbst im
Dome zu Bamberg begraben, geschändet wurden, in einer Weise, die einem das Blut
in den Adern gefrieren lässt! Beide Gräber, sowohl dasjenige der heiligen
Kunigunde wie auch die Ruhestätte ihres heiligen Gemahls, wurden vollkommen
ausgeraubt, mit einer Gründlichkeit, die auch nicht den kleinsten Stofffetzen
übrig ließ! Du hast richtig gehört – ausgeraubt, und nicht einmal vor der
sterblichen Hülle des Kaisers und seiner Gattin haben diese Ausgeburten der
Hölle haltgemacht! Es war so, als seien die beiden Heiligen niemals bestattet
worden, und wäre es nicht ein ebenso schlimmer Frevel zu glauben, sie hätten
das Schicksal des Erlösers geteilt und seien unmittelbar nach ihrem Tod in den
Himmel aufgefahren, würde der Zustand der Grabstätte genau diese
Schlussfolgerung nahelegen. Das Einzige, was sich darin fand, war ein Ring aus
purem Gold – wer ihn trug, bleibt ein Rätsel. Weniger rätselhaft hingegen ist
die Eingravierung, die er trug. Sie ist von zwei Kreuzen umrahmt und lautet:
Hoc signo victor eris – in diesem Zeichen wirst du siegen. Wie dir, Bruder im
Amte zu Würzburg, sicherlich bekannt ist, waren genau dies die Worte, die
Kaiser Konstantin, genannt der Große, am Himmel geschrieben sah, bevor er
seinen heidnischen Widersacher aus dem Felde schlug. Ein wahrhaftiges
Mysterium, nicht wahr? Aber beileibe nicht das einzige, das Gott der Herr zu
durchschauen uns auferlegt hat. Wie es die Grabschänder überhaupt zuwege
brachten, unbemerkt in den Dom einzudringen, ist mir nach wie vor schleierhaft,
waren Tore und Türen nach Aussage des Sakristans doch bei Sonnenuntergang fest
verschlossen und verriegelt worden! Fast könnte man meinen, der Leibhaftige sei
am Werk gewesen, so schändlich und ruchlos war diese Tat! Hat man etwas
Derartiges schon einmal gehört oder gesehen oder sich in den schwärzesten
Tiefen der Fantasie überhaupt vorstellen mögen? Gibt es Worte, um einen
derartigen Frevel zu beschreiben?
Mit einer derartigen Hinterlist konfrontiert zu
werden, ist, wie du dir sicher vorstellen kannst, schon schlimm genug. Fast
noch schlimmer wiegt allerdings die Tatsache – die heilige Kunigunde, Beschützerin
der Leiber aller fruchtbaren Frauen und kranken Kinder, möge mir verzeihen –,
dass wir in exakt zehn Tagen den Feiertag beider kaiserlichen Patrone begehen!
Für den Fall, dass irgendjemand von dem Frevel erführe, kannst du, mein Sohn,
dir sicher vorstellen, was dies für mich und mein Bistum zu bedeuten hat! Man
wird dies als böses Omen deuten, als Fingerzeig des Herrn, der mir, seinem
Diener, den Segen des Himmels entzog! Darüber hinaus – und diese Tatsache
dürfte dir wahrlich nicht unbekannt sein – stehen uns, Gottes Dienern, wahrhaft
unruhige Zeiten ins Haus. Kein Tag, an dem nicht irgendein Scharlatan wider die
gottgewollte Obrigkeit predigt, kein Tag, an dem nicht Schwärme von
Unruhestiftern und falschen Propheten durch die Lande ziehen, kein Tag, an dem
nicht irgendein Wanderprediger das Blaue vom Himmel herunterlügt!
So gib denn acht, Bruder im Amte, auf dass dir nicht
das Gleiche widerfahre, ist mir doch wie jedem guten Christen hierzulande
bekannt, dass in wenigen Tagen das Fest des heiligen Kilian, Apostel der
Franken, begangen wird! Gib acht, mein Sohn, auf dass dir nicht die gleiche
Heimsuchung zuteil werden möge wie mir! Gib acht, auf dass du mit deiner Herde
von den Fallstricken des Bösen verschont bleiben mögest!
Postskriptum: Außer mir, jenem unglückseligen
Scholaren und dem hiesigen Sakristan hat bislang niemand etwas über den oben
geschilderten Frevel erfahren. Um sicherzugehen, dass dies auch weiterhin der
Fall sein möge, habe ich beide einen heiligen Eid schwören lassen, niemals – auch
nicht auf dem Sterbebett – über ihre Erlebnisse zu reden. Tue auch du,
Amtsbruder zu Würzburg, mir den gleichen Gefallen! Versiegle deine Lippen,
verschließe dein Herz, verberge deine Gedanken – auf dass das über mich und
mein Bistum hereingebrochene Unheil so lange wie irgend möglich ein Geheimnis
bleibe!
Und verbrenne diesen Brief, sobald du ihn gelesen!‹
Sooft er den Brief auch las – begreifen konnte er die
ganze Sache immer noch nicht. Genau genommen war sie ihm ein einziges Rätsel.
Dass es sich bei dem Grabschänder von Bamberg und
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