Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
der Nacht herum?«
»Sonderbar – aber just in diesem Moment wollte ich
euch drei Halunken das Gleiche fragen!«
Einen Wimpernschlag war es totenstill. Der Mond
spiegelte sich in den bleifarbenen Pfützen, und der Geruch nach Fäkalien,
Essensresten und den Ausdünstungen der drei Männer lähmte Bruder Wilfrieds
Sinne.
Der Stallmeister war auf alles gefasst, auch darauf,
dass er gezwungen war, seine Fäuste einzusetzen. Umso größer dann seine
Überraschung, als die drei Strauchdiebe diesbezüglich keinerlei Anstalten
machten. Wenn es nach den Spießgesellen des Klumpfußes gegangen wäre, hätte es
zwar längst Hiebe gesetzt, aber anstatt den beiden das ersehnte Zeichen zu
geben, trat dieser einen Schritt vor, machte eine weit ausholende Geste und
sprach: »Die Zeit geht hin, und der Mensch gewahrt es nicht!«
»Dante.«
Die Augen des Klumpfußes weiteten sich, und obwohl man
es allenfalls erahnen konnte, flog unmittelbar darauf ein Grinsen über sein
Gesicht. »Kompliment!«, spendete er übertrieben devotes Lob. »Für einen
Laienbruder wie Euch nicht schlecht!«
»Und woher wollt Ihr wissen, dass ich ein Laienbruder
bin?«
»Eure Statur, mein Lieber. Einer dieser Fratres, die
sich den ganzen Tag im Skriptorium rumtreiben, hätte bestimmt nicht so eine
Statur wie Ihr. Und auch nicht solche Fäuste.«
Bruder Wilfried warf einen Blick auf seine Hände, die
er instinktiv aus den Ärmeln hervorgezogen und zu einem Paar mächtiger Fäuste
geballt hatte. »Dann seht nur zu, dass ich keinen Gebrauch von ihnen machen
muss!«, erwiderte er.
Der Stallmeister hatte noch nicht geendet, da ging der
Mann links von ihm einen Schritt auf ihn zu. Er war mit Geschwüren übersät und
grinste maliziös. Bevor sein Knüppel jedoch zum Einsatz kam, fuhr der Klumpfuß
dazwischen: »Lass gut sein, Skrofulus!«, wies er seinen Kumpan zurecht. »Dafür
ist später noch Zeit.« Und fügte, an Bruder Wilfried gewandt, in genau
entgegengesetztem Tonfall hinzu: »Bevor es ernst wird, sollten wir uns einander
vorstellen, meint Ihr nicht auch, Bruder?«
Wohl wissend, dass in seiner Situation Ironie fehl am
Platz war, antwortete der Stallmeister barsch: »Bruder Wilfried. Des Lesens und
Schreibens kundiger Laienbruder vom Orden der Zisterzienser.«
Die giftgrünen Augen des Klumpfußes verengten sich,
wenn auch nur kurz. Dann hatte er seinen Jähzorn im Griff, neigte das Haupt und
sprach in gewohnt theatralischer Manier: »Lazarus. Der Poesie und schönen Künste
kundiger Leprakranker aus dem Siechenhaus vor dem Sander Tor. Ehemaliger
Studiosus. Mitunter auch ›der Poet‹ genannt. Bitte habt Verständnis, dass ich
Euch nicht die Hand schütteln kann!«
Bruder Wilfried schluckte, sichtlich um Haltung
bemüht. »Habe ich!«, fügte er kurz und bündig hinzu.
»Wie schön!«, erwiderte der Poet, machte jetzt
ebenfalls einen Schritt nach vorn und bohrte den Schaft seiner Krücke mehrere
Zoll tief in den Morast. Seine Augenlider waren fast geschlossen, nur ein
einziger giftgrüner Strahl schoss aus ihnen hervor und bohrte sich mitten in
Bruder Wilfrieds Gesicht. »Und jetzt Schluss mit jeglichen Tändeleien!«,
knurrte er. »Was hat ein Pfaffe wie du hier zu suchen?!«
*
Haus von
Berengars Schwager in der Dominikanergasse,
kurz nach Sonnenuntergang
»Typisch! Kaum da, musst du schon wieder gehen!«,
schimpfte Berengars Schwester Sieglinde hinter ihm her. »Und das ausgerechnet
an der Taufe von unserem Jüngsten. Ein Wunder, dass du es heute morgen
überhaupt in die Kirche geschafft hast!«
»Manchmal gibt es eben Dinge, die wichtiger sind!«
Kaum war ihm die Bemerkung herausgerutscht, bereute Berengar sie auch schon
wieder. Dies war weder die Zeit noch der Ort dafür. Außerdem kannte er seine
Schwester gut genug, um zu wissen, dass sie seinen Seitenhieb nicht so ohne
Weiteres auf sich sitzen lassen würde.
»Wie bitte? Höre ich richtig?! Soll das etwa heißen,
dir ist es wichtiger, hinter irgendeinem Halunken herzuspionieren, als …«
»Es ist nicht irgendein Halunke, zum Teufel noch mal!«
»Soso. Und wer dann?«
Bruder Hilpert, dem das Gezänk sichtlich peinlich war,
schob Berengar beiseite und redete seiner Schwester gut zu. Draußen wurde es
bereits dunkel. Höchste Zeit also, zu gehen. Während Hilpert mit Engelszungen
redete, war das Taufgelage in vollem Gange. Knechte und Mägde hatten alle Hände
voll zu tun, und in der Diele war ein ständiges Kommen und Gehen. Jeder musste
mit anpacken, so auch die
Weitere Kostenlose Bücher