Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
See. Halt zu finden, war
ein Ding der Unmöglichkeit.
Nach längerem Hin und Her, derben Flüchen und markerschütterndem
Rülpsen war es endlich so weit. Schorsch hatte die gewünschte Position
erreicht. Der Leinenweber spreizte die Beine und atmete erleichtert auf. Gleich
würde es ihm besser gehen.
Dachte er wenigstens.
Denn zum einen war da diese Katze, die ihm im denkbar
ungünstigsten Moment in die Quere kam. Schorsch stieß den gräulichsten Fluch
aus, den er auf Lager hatte, holte mit dem rechten Bein aus, in der Absicht,
ihr einen saftigen Tritt zu verpassen. Und setzte sich so unsanft auf sein
Hinterteil wie schon lange nicht mehr.
Das Schlimmste indes sollte noch kommen.
Kaum hatte sich Schorsch nämlich aufgerappelt und den
nächstbesten Abfallhaufen zur Latrine auserkoren, fuhr ihm der Schreck derart
heftig in die Glieder, dass er seine Notdurft, den zu erwartenden Kater und das
Jüngste Gericht in Gestalt seiner Ehefrau einfach vergaß.
Schorsch war schlagartig nüchtern, und das nach sieben
Bechern Wein.
Jetzt hast du dir endgültig den Verstand weggesoffen!,
redete er sich mit dem Mut der Verzweiflung ein. Pure Einbildung, nichts
weiter. Höchste Zeit, mit dem Bechern aufzuhören.
Erst allmählich wurde dem Leinenweber klar, dass die
kalkweiße Hand, die keine zwei Schritte von ihm entfernt aus dem Abfallhaufen
ragte, kein Produkt seiner Einbildung war. Sie war real. Und so Furcht
einflößend, dass er wie in Trance zurückwich und erst an der gegenüberliegenden
Hauswand zum Stehen kam.
Nein, diese Höllenvision hatte nichts mit dem Wein zu
tun. Das war jetzt endgültig klar.
Eine Weile war der Leinenweber wie gelähmt, das Hemd
klebrig vor lauter Schweiß. Und dann erst sein Atem. Ein Blasebalg unter
Hochdruck war nichts dagegen. Dass er seine Notdurft nicht hatte halten können,
fiel ihm schon fast nicht mehr auf.
Dennoch – er konnte den armen Teufel da drüben nicht
so einfach … Na ja, wenn ihn nicht alles täuschte, war die bemitleidenswerte
Kreatur ohnehin längst tot. Seltsam, dass ihm die Idee erst jetzt gekommen war.
In aller Eile schlug der Leinenweber ein Kreuz und murmelte ein Gebet.
Und tastete sich Zoll um Zoll an den Abfallhaufen
heran.
Was folgte, war ein einziger Albtraum, eine
Höllenvision, die er sein Lebtag nicht loswerden sollte. Warum er damit begann,
den Leichnam Stück für Stück von Katzenscheiße, verschimmeltem Obst und sogar
einem Rattenkadaver zu befreien, wusste er später nicht mehr. Er arbeitete
mechanisch, ohne zu denken, aber auch ohne Angst. Und ohne jegliches
Zeitgefühl. Fast so, als seien ihm menschliche Regungen fremd.
Geschafft! Der Leinenweber wischte sich den Schweiß
von der Stirn und sah das Objekt seiner Bemühungen neugierig an. Kein reicher
Mann, so viel stand fest. Und auch nicht mehr ganz jung.
Einer wie er.
Erst jetzt, als er den Leichnam näher in Augenschein
nahm, bemerkte Schorsch, dass ein Tuchfetzen das Gesicht des Toten fast
vollständig verdeckte.
Er zögerte, wenn auch nur kurz.
Und wurde bleich wie der Tod.
Kaum war ihm der Tuchfetzen aus der Hand geglitten,
wirbelte der Leinenweber herum und rannte in panischer Angst die Gasse entlang,
so schnell, als seien die Heerscharen Luzifers hinter ihm her.
*
Kontor im
Marmelsteiner Hof, halb eins
Er nannte es seine Medizin. Rotwein, eine Prise
Schlafmohn und ein wenig Honig vielleicht. An sich recht harmlos.
Wenn er ohne sie hätte leben können.
Aber das konnte er nicht. Schon lange nicht mehr. Dazu
hatte er sich zu sehr an dieses Teufelszeug gewöhnt, seinen allabendlichen
Schlummertrunk – der musste einfach sein. Sonst wäre es am gestrigen Abend
nicht zum Aushalten gewesen.
Als seine Medizin Wirkung zeigte, begann sich
Eustachius von Marmelstein, Domkapitular und Vertrauter des Bischofs,
allmählich zu entspannen. Der Tag und mit ihm sämtliche Mühen und Plagen waren
vergessen, die Gicht, seine ständige Begleiterin, kaum noch zu spüren. Der
Domherr atmete befreit auf, trank einen weiteren Schluck und machte es sich in
seinem Ohrenbackensessel bequem. Eine trügerische Ruhe senkte sich auf ihn
herab. Zu wohltuend, um wahr zu sein.
Im gleichen Moment, als dem Domherrn der Blick
verschwamm, waren im benachbarten Kontor Schritte zu hören. Vielleicht lag es
an der zu hohen Dosis, vielleicht aber auch an dem aufregenden Tag. Eustachius
von Marmelstein jedenfalls nahm sie kaum wahr und gab sich der Wirkung des
Trankes hin.
Als sich die Tür zu seinem
Weitere Kostenlose Bücher