Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
Gemach öffnete, sah der
Domherr nicht einmal auf. Die Duftkerze in dem Gefäß aus venezianischem
Buntglas warf einen kreisrunden Kegel an die Decke und verströmte den Geruch
von Palmöl und Jasmin. Als die Tür ins Schloss fiel, flackerte sie kurz auf,
erlosch jedoch nicht. Eustachius hob den Blick, aber die bläulich rote Flamme
auf dem Beistelltisch aus Rosenholz zog ihn derart in seinen Bann, dass er
alles andere darüber vergaß.
Endlich. Die Wirklichkeit existierte nicht mehr. Und
mit ihr weder Ort noch Zeit noch Raum. Das irdische Jammertal samt seiner
Mühen, Plagen und Fallstricke hatte sich urplötzlich in Luft aufgelöst.
Er war am Ziel.
Mitten in seinem Traum.
So schien es wenigstens.
Doch er hatte sich getäuscht. Denn plötzlich begann
das Kerzenlicht zu verblassen, und ehe er sich versah, war es stockdunkel im Raum.
Schwerfälliger als sonst, bewegte sich der fettstrotzende Rumpf des Domherrn
einige Zoll weit nach vorn. Dann aber sackte er buchstäblich in sich zusammen.
Schuld daran war jedoch nicht sein Elixier, sondern die Angst, die unaufhaltsam
in ihm emporzusteigen begann.
Ein Albtraum bahnte sich an, schlimmer, als er es sich
je hätte vorstellen können.
Zuerst war da nur dieser Schatten an der Wand. Und das
Mondlicht, weiß wie Schnee. Und das netzförmige Muster, das es durch die
Butzenglasscheiben auf die Steinfliesen seines Gemaches warf.
Aber das war längst noch nicht alles.
Denn auf einmal bewegte sich der Schatten auf ihn zu.
Der Domherr saß da wie erstarrt. Er wollte schreien, aber daraus wurde nichts.
Die Angst vor dem überdimensionalen Schatten war stärker. Eustachius von
Marmelstein umklammerte die schweißnasse Kehle, während sein Herz wie
entfesselt zu hämmern begann.
Erst als der Schatten eine Armlänge von ihm entfernt
zum Stehen kam, wurde dem Domkapitular klar, dass dies kein Albtraum, sondern
die Wirklichkeit war. Fast gleichzeitig ließ die Wirkung des Trankes ein wenig
nach, und Eustachius richtete sich mühsam auf.
Da war jemand. Und es war jemand, den er kannte.
Der Domkapitular kniff die Augen zusammen, konnte aber
der Dunkelheit wegen nichts sehen. Er wollte etwas sagen, doch kam ihm der
nächtliche Besucher zuvor: »Eustachius von Marmelstein!«, hallte es von den
Wänden seines mit kostbaren Wandteppichen ausstaffierten Gemaches wider. Einer
davon, echt flämisch, zeigte den bocksbeinigen Gott Bacchus, ein für einen
Domherrn eher unpassendes Motiv. »Wie schön, dass ich Euch meine Aufwartung
machen kann!«
Eustachius fiel es wie Schuppen von den Augen. Er
kannte den Mann. Nichtsdestoweniger fröstelte ihn. Wenn er sich vor jemandem
fürchtete, dann vor ihm. Und zwar mehr als vor sämtlichen Teufeln und Dämonen
und Schattenwesen dieser Welt.
»Was führt Euch hierher?«, hörte sich der Domkapitular
sagen, und er kam sich wie ein Tollpatsch dabei vor. Zu dumm, dass mir das
ausgerechnet jetzt passieren muss!, dachte er. Die Wirkung des Elixiers hatte
zwar nachgelassen, doch nicht genug, um seinem größten Widersacher die Stirn zu
bieten.
»Eine Angelegenheit von höchster Dringlichkeit!«,
antwortete der nächtliche Besucher in lauerndem Ton. »Wobei ich mir sicher bin,
dass Ihr mir dabei helfen könnt.«
»So wichtig, dass Ihr mitten in der Nacht um Beistand
ersucht?«
Obwohl das Gesicht des Mannes im Schatten blieb,
konnte Eustachius sein höhnisches Lächeln erahnen. »Wichtiger, als Ihr es Euch
überhaupt vorstellen könnt!«, erwiderte er, unüberhörbar herrischer als zuvor.
Drauf und dran, dem Mann die in seinen Augen passende
Antwort zu geben, hielt Eustachius von Marmelstein jäh inne und umklammerte
seine rechte Hand, die in einem Handschuh aus scharlachrotem Samt steckte. Der
Rubin am Ringfinger funkelte ihn tückisch an. Die Gicht war wieder da. Einfach
nicht zum Aushalten. »Soso. Und warum?«
Wieder dieses Lächeln. Und der Geruch nach Weihrauch
und Schweiß und … Blut? Durch den Körper des Domherrn ging ein gewaltiger Ruck.
Bevor er jedoch etwas sagen konnte, kam ihm die schneidende Stimme des
nächtlichen Besuchers zuvor, freilich ohne auf die an ihn gerichtete Frage
einzugehen: »Trifft es zu, dass Euch unser hochwohlgeborener Herr Bischof mit
ganz besonders delikaten Missionen zu betrauen pflegt?«, fragte er.
»Zu Eurer Kenntnisnahme: Ihr befindet Euch im Gemach
des bischöflichen Vikarius – und nicht vor Gericht.«
»Ihr tätet besser daran, mir eine Antwort auf meine
Fragen zu geben. Und eine ehrliche, wenn’s
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