Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
du?«
»Ich?! Ich hab mir nichts weiter dabei gedacht. Na ja
– jedenfalls nicht viel. Dass es nicht mit rechten Dingen zugeht, war mir
natürlich klar. Was gibt es dort denn schon groß zu klauen!, hab ich mir
gesagt. Womöglich den Opferstock. Wenn er überhaupt voll ist. Oder was die
Pilger heuer so mitbringen und vor den Altar legen. Ehrlich: Auf die Idee, dass
der Agilulf sich an den Reliquien vergreifen würde, wäre ich im Traum nicht
gekommen. Nie im Leben – ich schwör’s!«
»Verstehe ich dich richtig: Du willst mir also allen
Ernstes weismachen, du hättest erst im letzten Moment von den Plänen deiner
beiden Spießgesellen erfahren? Das glaubst du doch wohl selbst nicht, oder?«
In seiner Not kehrte der Schmied die Handflächen nach
außen und zog die Schultern hoch. »Doch Herr!«, beteuerte er mit dem letzten
Rest an Mut, den er besaß. »Deswegen hab ich die beiden ja auch stehen gelassen
und mich schleunigst wieder ver…«
Die messerscharfe Klaue, deren Nägel sich in die
Fettringe seines Halses bohrten, als seien sie aus Papier, würgte Gumperts
Worte abrupt ab. Völlig perplex, wollte er sich ihrem Griff entwinden, mit der
Hand ausholen, dem Kapuzenmann einen Tritt verpassen – nichts zu machen. Er war
wie gelähmt. Die Gliedmaßen gehorchten ihm nicht mehr. Und auch nicht die Muskeln,
sein ganzer Stolz.
Jetzt ging es nur noch ums Überleben. Und in diesem
Punkt, so die Vorahnung, die ihn mit der Gewalt eines Schmiedehammers traf, sah
es für Gumpert alles andere als rosig aus.
Um nicht zu sagen ausgesprochen schlecht.
»Wo ist dieser Ansgar abgeblieben?!«, zischte der
Kapuzenmann und lockerte seinen Griff.
»Woher wisst Ihr überhaupt, wie er …«
»Dein Pech, dass der blinde Bettler drei Straßen
weiter so redselig war! ›Das Kleeblatt‹ – wie originell!«
»Auf die Gefahr, dass … dass Ihr mir nicht glaubt«,
würgte Gumpert seine Worte nur so hervor, »ich habe keinen blassen Schimmer, wo
der Kerl …«
»Nun gut.« Zwei Worte nur, Worte jedoch, die Gumperts
Tod bedeuteten. Der Mann, dessen Deckname Kilian war, hatte sein Urteil
gesprochen. Emotionslos bis an die Grenze der Abgestumpftheit, trieb er den
bulligen Schmied wie eine Strohpuppe vor sich her. Gumpert röchelte nicht
einmal mehr. Lediglich seine Augen, weit aufgerissen und mit Pupillen so leblos
und starr wie ein zugefrorener Fluss, zeigten, dass noch eine Spur Leben in ihm
war. Aber selbst diesem spärlichen Rest war nur noch eine kurze Frist
beschieden.
Eine Frist, die unweigerlich ablaufen würde.
Als ihm das Schmiedefeuer fast den Rücken versengte,
wurde Gumpert schlagartig klar, was passieren würde, und er bäumte sich mit
aller Gewalt gegen sein Schicksal auf. Zu spät. Der Würgegriff des
Kapuzenmannes, hart wie Stahl und fester als ein Schraubstock, verstärkte sich
und quetschte seinen Hals wie morsches Holz zusammen. Die Augen traten ihm aus
den Höhlen, und sein Gesicht, bald blau, dann wieder dunkelrot, wirkte wie
entstellt, eine wild zuckende Fratze, deren Rachen der Atem des Todes entstieg.
Die Zunge des Schmieds, steif und spitz und übel riechend wie vermodertes
Fleisch, wand sich in spastischem Krampf, auch dann noch, als Gumpert rücklings
in die Esse fiel. In diesem Moment, als sein Geist aus dem gepeinigten Körper
floh, stieg ein entsetzliches Gurgeln aus Gumperts Kehle empor, schlimmer als
jeder Schrei, grässlicher als bei einem tödlich getroffenen Tier.
Ein kurzes Auflodern, hell wie ein Leuchtfeuer in der
Nacht.
Dann war es vorüber.
Für immer.
Keuchend vor Anstrengung, stand Kilian eine Weile wie
betäubt. Von jetzt auf nachher konnte er sich an nichts mehr erinnern, nicht
einmal daran, wo er sich gerade befand. Bilder, Gesprächsfetzen und
schemenhafte Visionen zogen an ihm vorbei, wobei er nicht wusste, ob sie real
oder Erinnerungen waren. Doch damit nicht genug. Wie aus dem Nichts tauchten
plötzlich drei Schattenwesen auf, ohne Gestalt, Form oder Gesicht. Eigentlich
hatten sie nichts Menschliches an sich, mit Ausnahme ihrer Stimmen, die dem
Kapuzenmann auf merkwürdige Weise bekannt vorkamen. Mit dem vagen Gefühl, dass
sich sein Geist immer mehr zu verwirren begann, zermarterte sich Kilian das
Gehirn. Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
Die drei Gestalten, schwerelos und feucht und
glitschig wie der Nebel im Herbst, Trugbilder, die er einfach nicht zu fassen
bekam, waren ihm wohlbekannt. Zu Lebzeiten hatte er keine Angst vor ihnen
gehabt, dafür jetzt umso
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