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Die Kinder aus Nr. 67

Die Kinder aus Nr. 67

Titel: Die Kinder aus Nr. 67 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Tetzner
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sich furchtsam um. »Wir haben doch kein Geld.«
     
    Hinter einem Schrank kam ein Herr hervor. Der antwortete nicht gleich, sondern sah die Jungen von oben bis unten an. Prüfend und mißtrauisch.
     
    Erwin zog die Mütze tiefer ins Gesicht, um dem Blick auszuweichen. »Was kostet so ein Ball hier, wollt' ich fragen?«
     
    »Wie's angeschrieben steht. Stück für Stück neun Mark und fünfzig. Sonderangebot. Extra billig!«
     
    Natürlich stand's da. Ein großes Schild. Das hatten sie gar nicht gesehen. Erwin drehte sich alles im Kopf. So viel Geld wird er niemals bekommen. Vier Kinder. Bald fünf. Pauls Vater arbeitslos. Die Jungen gingen schweigend nach Hause. Neun Mark fünfzig, fast zehn Mark. Man geht über die Straße. Setzt einen Fuß vor den anderen. Kommt dabei weiter und weiter. Ist wieder in dem bekannten großen Häuserviertel zwischen dem Geruch der Markthallen und Hinterhöfe und denkt unablässig das eine. Ein Fußball, bergeweise zu kaufen bei Tietz für neun Mark fünfzig. Auf dem Hof hockte die Bande und spielte Messerstechen. Aus den Küchen des Vorderhauses zog Essensduft über den Hof. Im Hinterhaus keiften die Weiber und klapperten Nähmaschinen. Da faßte Erwin einen Entschluß. Er mußte einen Fußball haben. Er mußte! Es gab Möglichkeiten, sich Geld zu beschaffen. Er stieß die spielende Bande auseinander, unterbrach ihr stummes Messerspiel und teilte ihr seinen Entschluß mit. Es war wegen des Fußballs. Weil sich doch die Bande in der Nebenstraße mit ihrem Ball so wichtig tat. Sie mußten deswegen endlich auch ihren Ball haben.
     
    Er tuschelte mit ihnen, erkärte und wägte die Möglichkeiten ab. Die anderen hörten zu. Der lange Heiner zuckte die Achseln. »Wenn du Fußball spielen willst, tritt in'en Sportverein ein. Mach dir doch nicht lächerlich. Wo willste denn hier spielen? Zwischen den Autos?«
     
    »Det findet sich schon. Ich will einen eigenen Fußball haben. Nur einen für die Clique!«
     
    Die anderen Jungen waren mißtrauisch. Sie hatten gar keine Lust. »Ach ne«, sagten sie. »Mach mal alleine.«
     
    Der schwarze Willi schlug vor, der Nachbarclique den Ball zu klauen. Davon wollte Erwin nichts wissen. Nein, er wollte ihn verdienen. Das war sein Vorschlag. Es gab genügend Möglichkeiten, womit sich eine Jungenhorde Geld verdienen konnte. Auf dem Bahnhof Koffer tragen. Vor den Kinos die Autotüren öffnen. Dabei fiel manchmal Geld ab. Man konnte Botengänge übernehmen. Alles Geld wird zurückgelegt und gesammelt, bis die neun Mark fünfzig voll sind.
     
    »Hundert Jahre wirste alt, bis du soviel Geld zusammen hast.« Keiner wollte an den Erfolg glauben.
     
    Aber Paul und der schwarze Willi aus der Kellerwohnung waren bereit, mitzumachen. Am nächsten Tage fingen sie an. Nach dem Mittagessen rannten sie gleich auf den Bahnhof. Der Bahnhof war von ihrem Häuserviertel ein großes Stück entfernt. Dort stellte sich jeder an eine andere Ecke.
     
    Die Autos kamen vorgefahren. Leute stiegen aus. Sie zogen ihre Koffer hinter sich her oder winkten Trägern.
     
    Erwin riß die Autotüren auf und bot sich an, die Koffer zu tragen. Keiner sah den kleinen Jungen an. Erwin war sehr aufgeregt. Er zitterte. Er hatte noch nie gebettelt. Aber nun stand er da, streckte seine Hand aus und wartete. »Bitte schön, wollen Sie mich nicht tragen lassen? Bitte sehr, vielleicht Träger gefällig? Ich kann das sehr gut.«
     
    Erwin war ein kleiner und schmächtiger Bub. Er war sogar mager und blaß. Man sah ihn an und glaubte nicht, daß er Koffer tragen konnte. Ein Mann hatte ihm einen Sechser in die Hand gedrückt — fürs Türöffnen. Er stand nun fast zwei Stunden. Die Füße taten ihm weh. Endlich kam eine Frau aus der elektrischen Bahn. Sie schleppte einen Koffer und keuchte unter der Last. An allen Trägern ging sie vorüber. Erwin stürzte hin und folgte ihr. »Bitte schön, lassen Sie mich doch tragen. Geben Sie mir den Koffer, liebe Frau, der ist für Sie viel zu schwer.«
     
    Sie atmete auf und sagte: »Wie freundlich du bist. Wenn du ihn tragen kannst.« »Bitte.« Verteufelt, der Koffer war schwer. Erwin schleifte ihn mit allen Kräften hinter sich her. Nur jetzt nicht schlapp machen. Er packte ihn mit beiden Händen, so fest er konnte. Zwei Träger standen da und schauten mißtrauisch zu. Sie tuschelten über ihn und lachten. Erwin streckte ihnen die Zunge heraus. Nun erst recht wird er zeigen, was er kann. Es war allerdings ein Glück, daß die Frau vorauslief und

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