Die Kinder aus Nr. 67
zurückkam. Ganz heiß hatte er sich gelaufen, denn er war die eine Strecke zu Fuß gegangen, um fünfzehn Pfennige zu sparen, dann stiegen sie beide zu Richters hinauf.
Der Vater stand gerade am Ofen und kochte Brei für die Familie. »Hier«, sagte Paul und legte ihm den Zettel in die Hand. Darauf stand »Berechtigung zur Ausstellung eines Krankenscheines«. Und wenn man den hatte, durfte man den Arzt holen.
»Junge, Junge«, sagte der Vater, »wo haste denn das her?«
»Erwin und ich haben mal ein bißchen Koffer getragen und Leuten die Schuhe geputzt.«
»Da haste wohl lange putzen müssen, bis du fünfzig Pfennige zusammen hattest?«
»Ach nee, det kam gleich auf einmal. Ganz schnell ging's«, log Paul drauflos. Er wollte nicht zuviel erzählen. Er wollte auch nicht bewundert sein. Der Vater sah ihn so komisch an und machte die Hände so, als wollte er ihm über den Kopf streichen. Paulchen war nicht für Zärtlichkeit zu haben. Dann wurde ihm so zum Weinen zumute, weil er das nicht gewohnt war. Außerdem war's ja auch wegen Erwin. Eigentlich hatte er den Gedanken gehabt. Nun stand er dabei und guckte zu. »Ich muß jetzt runter«, sagte er, »die Clique wartet auf mich.« Beide rannten zur Tür hinaus und die Treppe hinunter. Aber unten im Hof wurden sie plötzlich schrecklich vergnügt und trommelten mit den Fäusten an die Mauern und auf die Kehrichteimer. »Paß mal auf, wer's am tollsten kann«, sagte Paulchen, und er schlug und trommelte auf die Blechkästen, daß es nur so schmetterte, dazu drehte er mit seinen Füßen einen Indianertanz.
»Ruhe da unten!« rief es aus dem Fenster der alten Manasse. »Seid ihr denn verrückt geworden. Ich werd'euch gleich.« Die beiden schlichen auf die Straße. Nicht einmal freuen durfte man sich.
Es war wirklich gut, daß am nächsten Tag der Arzt kam. »Herr Richter«, sagte er, »das ist aber höchste Zeit, daß Sie mich rufen ließen. Morgen wäre es vielleicht schon zu spät gewesen. Ihre Frau muß sofort ins Krankenhaus zur Operation. Ich hoffe, es wird noch alles gut.«
Frau Richter wurde im Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht. Paul und Erwin standen unter dem Torbogen und sahen zu. Es war ihnen ganz seltsam zumute. Den ganzen Tag über hatten sie keine Lust zum Spielen und hockten still herum.
»Was meinste dazu«, sagte Erwin schließlich, »wir sollten vielleicht besser wieder arbeiten gehen. Man kann nie wissen, wozu man's braucht.« Er dachte jetzt nicht an den Fußball. Der schien mit einem Male nicht mehr wichtig. Er dachte an seine Mutter. Sie sah jetzt auch immer blaß und ernst aus. In Vaters Fabrik streikten sie. Sie gingen nicht mehr zur Arbeit, weil sie fünfzig Pfennige mehr Lohn haben wollten in der Woche. In der Zeitung stand, zur Strafe dafür sollten alle ausgeschlossen werden. Denn lieber wollte der Fabrikbesitzer gar nicht arbeiten lassen, als fünfzig Pfennige mehr Lohn bezahlen. Und doch wußte Erwin genau, wie wichtig für sie die fünfzig Pfennige waren. Es war ein Brot mehr in der Woche. Denn gerade jetzt hatte Mutter den Wäschekorb zurechtgemacht für das neue Kind, das sie erwarteten.
»Kann jeden Tag kommen«, sagte die Mutter. »Das arme Wurm kommt zur Unrechten Zeit.«
Vater und Mutter nannten es nur »das arme Wurm«. Mutter hatte ganz recht. Das Brot war schrecklich knapp im Hinterhaus bei Erwins Eltern. Trotzdem sollte ein Esser mehr kommen und Vater vielleicht ausgesperrt werden, dann mußte er ohne Arbeit draußen vor den Toren der Fabrik stehen.
»Weißte«, sagte Erwin, »so ein Haus hat det viel besser. Det steht da und hält feste und braucht nich zu essen und nich zu trinken. Kiek dir's doch mal an. Is nie hungrig. Und steht doch einen Tag wie den anderen, und alles ist gut. Oder auch so ein Blümchen, wie det von der Frau Manasse, was da aufs Fensterbrett steht und jeden Tag mit so einem Tröppken Wasser begossen wird, hat det auch viel leichter.«
Paul sah ihn ganz dumm an. »Wie kommste darauf, Erwin?«
»Ach, nur so. Ich meine, weil ich jetzt immer hungrig bin, den ganzen Tag, und mich darüber ärgere. Nun kommt noch det neue Wurm. Wir wissen ja noch nich, ob's ein Mädel oder ein Junge ist. Aber das will doch auch essen und kriegt nischt.«
»Dafür ist det doch ein Mensch, Erwin. Kein Haus oder Blumenstock von der Frau Manasse. Möchtest du vielleicht ein Haus sein und immer stinken wie det unsere hier? Nee, nee, det is nich richtig. Vater
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