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Die Kinder aus Nr. 67

Die Kinder aus Nr. 67

Titel: Die Kinder aus Nr. 67 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Tetzner
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lösten und Geld wechselten, beugten sie sich schnell über die Schuhe, putzten und wischten sie blank. Dann streckten sie die Hand nach oben. Manche lachten nur und liefen weiter. Andere schüttelten die Hände wie lästige Fliegen ärgerlich ab. Der eine oder der andere gab etwas, weil er gerade Geld in der Hand hatte oder weil ihm die Schnelligkeit der Jungen Spaß machte. Auf die Dauer war es allerdings schrecklich kalt, immer auf dem Steinboden zu knien. Die Füße und Knie taten weh. Sie hockten dicht neben dem Schalter und wischten erbarmungslos über alle Füße, die vorüberzogen. Die linke Hand war unentwegt nach oben gerichtet. Es gab Fünfer und sogar Zehner. Aber eines Tages kam der Kontrollbeamte und schickte sie weg. Das, sagte er, sei unerlaubt. Man sollte sie der Polizei übergeben, wegen Belästigung der Reisenden.
     
    Erwin maulte und zog mit Paulchen nach einem anderen Bahnhof. Sie blieben nur so lange, bis man aufmerksam auf sie wurde. Als die Stadtbahnhöfe nicht mehr in Frage kamen, versuchten sie es bei der Untergrundbahn. Manchmal bekamen sie eine Zeitlang nichts. Und wenn sie verdienten, kamen sie in Versuchung, etwas von ihrem Verdienst auszugeben.
     
    Es wäre schön gewesen, wenn sie ein einziges Mal hätten in ein Kino gehen können. Sie blieben vor den Aushängeschildern an den Portalen stehen und ließen sich mit in den Vorraum ziehen. Aber an der Kasse drehten sie sich im letzten Augenblick entschlossen wieder um.
     
    Auch wenn sie hungrig waren und das Geld in der Tasche fühlten, während sie an Obstwagen vorüber mußten, auch dann war es sehr schwer, weiterzugehen. Das beste war, nicht hinzugucken und sich statt dessen lieber einen Zeitungsstand anzusehen. Das taten sie auch.
     
    So vergingen Wochen und Monate. Die anderen Jungen hatten den Plan längst wieder vergessen. Sie sprangen weiter über Kehrichteimer, ließen sich von Frau Manasse und dem Hausverwalter ausschimpfen oder machten Messerstechen. Manche angelten auch aus Kellerlöchern mit Magneten nach Metallgegenständen und hofften, auf diese Weise zu Gelde zu kommen.
     
    Erwin und Paul aber waren schon bei drei Mark und zwanzig Pfennigen angelangt. Und gerade zu der Zeit geschah etwas. Pauls Vater, der Schlosser Richter, war schon seit langem arbeitslos. Kein Amt wollte ihm mehr Unterstützung zahlen. Er war ausgesteuert worden und sollte sich an die Wohlfahrt wenden. Die Mutter ging waschen und verdiente sich eine Kleinigkeit. Eines Tages aber wurde sie krank. Der Arzt mußte geholt werden, doch dazu brauchte man einen Krankenschein. Um den Krankenschein zu bekommen, brauchte man erst fünfzig Pfennige. Pauls Mutter war ganz böse. »Fünfzig Pfennige für so ein Stück Papier, wo man ein ganzes Brot dafür haben kann. Nee, nee. Laßt man gut sein. Und wer weiß, was noch dazu gehört. Kauft lieber Brot, det is viel wichtiger. Dann werden die Kinder groß und stark.«
     
    »Weißt du«, sagte Paul zu Erwin, als sie am anderen Tage loszogen, »bloß wie die Mutter nachts immer stöhnt, weil ihr das so weh tut. Dann kannste kaum dabei schlafen.« Er war sehr bedrückt.
     
    »Vielleicht«, meinte Erwin, »sollten wir den Schein bezahlen, da wir doch auch schon drei Mark zwanzig haben. Wegen der fünfzig Pfennige bleiben uns doch noch immer zwei Mark siebzig. Jetzt is ja bald Winter. Bis zum Frühling holen wir das wieder auf.«
     
    »Wenn du meinst. Ich weiß auch, wo man so einen Schein kriegt. Ich bin mit Vater gestern dort gewesen. Es ist weit von hier. Ich muß mit dem Omnibus fahren.«
     
    Erwin dachte: Omnibus macht wieder dreißig Pfennige. »Dann fahr mal alleine, Paulchen. Ich warte hier.«
     
    Paulchen strahlte. Eine herrliche Sache war das übrigens, Mutter den Schein zu besorgen. Schade, daß er nicht selber auf den Gedanken gekommen war.
     
    »Du, Erwin, wir müssen aber warten, bis es dunkel ist, wenn wir das Geld herausholen.«
     
    Als es dunkel war, schlichen sie an die Kellertreppe. Es war eine große Anstrengung, den Abfallkübel beiseitezurücken. Sie glaubten fast, es gelänge ihnen nicht. Und dabei mußten sie doch leise sein, damit es ja nicht auffiele. Endlich war es so weit. Sie holten ihren Beutel, zählten fünfzig Pfennige und das Fahrgeld ab und vergruben den Rest wieder. Ein kleines bißchen seufzte Erwin, als das Geld in Paulchens Tasche verschwand. Aber schließlich freuten sie sich sogar.
     
    Am nächsten Nachmittag wartete Erwin an der Straßenecke, bis Paulchen mit dem Schein

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