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Die Kinder aus Nr. 67

Die Kinder aus Nr. 67

Titel: Die Kinder aus Nr. 67 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Tetzner
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möglichst wenig zu sprechen, um nicht ausgelacht zu werden, ihres Dialektes wegen.
     
    »Ich bin Paul Richter, und da wohne ich.« Er zeigte auf die Bäckerei.
     
    Mirjam setzte sich auf die Schwelle zum Eingang b.
     
    »Ich bin so frei.« Paul setzte sich neben sie. Weiß der Teufel, warum er sich plötzlich so vornehm benahm und so gewählt sprach wie die Erwachsenen.
     
    Mirjam verzog spöttisch die Mundwinkel. Sie fand ihn auch ein bißchen albern.
     
    »Von welchem Stamm bist du?« fragte Paul.
     
    »Von welchem Stamm?« antwortete Mirjam erstaunt. Dann fiel ihr das Versprechen ein, welches sie gegeben hatte, und sie lächelte.
     
    »Ach so, richtig«, murmelte sie. Sie dachte eine Weile nach. »Vom Stamm der Marinauas.«
     
    »Was du nicht sagst!« Paul blieb vor Staunen der Mund offen stehen. »Kenne ich gar nicht.«
     
    »Weit weg, sehr weit.« Mirjam machte eine Geste gen Norden.
     
    »Wohnt ihr dort noch im Wigwam?«
     
    Mirjam nickte.
     
    »Immer?«
     
    »Immer.«
     
    »Und jetzt? Ich meine, warum bist du hier?«
     
    Mirjam beugte sich tiefer zu Paul, neigte sich an sein Ohr und flüsterte: »Ich bin die Tochter des Königs Aguratumpa, die Prinzessin Miriamtimkura, genannt Mirjam.«
     
    Paul nickte andächtig.
     
    »Man hat mich geraubt, aber ich bin geflohen, und ich bin —« jetzt fiel ihr nichts Passendes mehr ein. Paul wartete noch immer mit leicht geöffnetem Mund.
     
    »Na und?« fragte er ungeduldig.
     
    »Man verfolgt mich«, fuhr Mirjam fort, »denn ich habe viele Feinde.«
     
    Paul nickte verständnisvoll.
     
    »Hält sie dich gefangen, die Manasse?«
     
    »Nulla, Katschaunuam«, antwortete sie nur. »Palla maga ratscettumpa norge, mei ja applepumps.« So wie es ihr gerade in den Mund kam, aber sie durfte Paul dabei nicht ansehen, sonst hätte sie sofort laut lachen müssen. Schade, daß Emil und seine Schwestern nicht hier waren, um zuzuhören, wie gut sie die Indianerin spielen konnte.
     
    »Is das die Indianersprache?«
     
    Mirjam nickte. »Die Sprache meines Stammes, der Marinauas. Wenn es Abend wird, werde ich dir meinen Königsmantel und den Schmuck zeigen, die Krone aus den Schwanzfedern des Japuas und meine —«
     
    »Ach, bitte, red noch einmal indianisch.«
     
    Mirjam redete aufs neue, wie es ihr gerade einkam.
     
    Da sah sie, daß Erwin aus dem Eingang kam. Der lustige Junge mit den Sommersprossen wie verspritztes Christbaumgold. Er ging langsam über den Hof und tat, als sähe er die beiden gar nicht. Aber das stimmte nicht. Er hatte sie schon vom Fenster aus beobachtet.
     
    Mirjam stellte fest, daß ihr Erwin von allen Jungen, die sie bisher kennengelernt hatte, am besten gefiel. Sie hoffte, daß er ihr Freund werden würde.
     
    »Dort«, sagte sie, und zeigte auf Erwin, »kommt Sternenhimmel.«
     
    »Wie bitte?« Paul hatte wohl nicht recht gehört?
     
    »S-t-e-r-n-e-n-h-i-m-m-e-l«, buchstabierte Mirjam und tupfte mit den Fingern ihr Gesicht ab, um Erwins Sommersprossen anzudeuten.
     
    »Sein Gesicht ist Himmel mit Sternen.«
     
    Jetzt begriff Paul. Er fing schallend zu lachen an. »Sternenhimmel! Ist ja großartig. Einfach toll!«
     
    »Du, Erwin«, schrie er. »Du heißt von nun ab nur noch ›Sternenhimmel‹!« Er lief auf ihn zu und erklärte ihm warum. Erwin stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf. Man konnte sehen, daß er rot wurde. Er schielte zu Mirjam. »So ein Blödsinn, alberner Quatsch.«
     
    »Pst, pst. So redet man nicht mit ihr.« Er schielte zu Mirjam. »Sie ist eine Königstochter. Sie hat mir schon alles erzählt. Sie ist geflohen.« Er sprach leise weiter. »Sie spricht ganz fabelhaft indianisch.«
     
    Erwin blickte Mirjam prüfend an. Dann wurde er unsicher. Was war denn nun richtig?
     
    Mirjam stand auf. Sie pfiff Piddel und trat auf Erwin zu.
     
    »Tag«, sagte sie und bot Erwin die Hand.
     
    Erwin ließ seine Hände in der Hosentasche und nickte nur.
     
    »Ich möchte gern mit euch spielen. Wenn ihr mich in eure Clique aufnehmen wollt, so soll Piddel euer Cliquenhund werden. Er kann wachen! Er macht: ›Faß Mann!‹ und kann sich tot stellen. — Mach tot! Piddel!« rief sie, um den finster blickenden Erwin aufzuheitern. »Piddel, mach tot!«
     
    Piddel warf sich auf den Boden, streckte alle Viere von sich und blieb regungslos liegen.
     
    »Donnerwetter«, rief Paul. »Mensch, der hat's in sich.«
     
    »Auf«, schrie Mirjam. »Auf, Piddel!« Der Hund sprang auf und drehte sich vor Vergnügen um sich selber.

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