Die Kinder aus Nr. 67
Hinterhaus auf Besuch ging.
Frau Brackmann war ganz verlegen. Sie putzte mehrmals hintereinander den Stuhl ab, auf dem Frau Manasse Platz nehmen sollte, weil Erwins jüngere Geschwister darauf Kaufmannsladen gespielt hatten und noch überall Erbsen herumlagen.
Herr Brackmann rauchte ruhig seine Pfeife weiter und kümmerte sich gar nicht um den Besuch. Er sagte nur: »So, so. Sie sind also auch mit von der Partie.« Und dann gab er ihr die Hand und setzte dazu: »Freut mich. Was schlagen Sie mir für eine Maske vor? Vielleicht die Ritteruniform, die hab' ich mal durchs offene Fenster blicken sehen und hat mir mächtig imponiert!«
»Aber Vater«, schrie Erwin, »du darfst keinem von uns sagen, was du nimmst, sonst erkennt man dich doch gleich, und det ganze Geheimnisvolle is futsch.«
»Donnerwetter, daran hab' ich gar nicht gedacht. Also dann vergeßt es mal bis dahin wieder, oder noch besser, reservieren Sie mir einen Chinesenanzug, dazu häng' ich mir einen Zopf an. Wat meinen Sie, Frau Manasse?«
Ein lautes Hallo war die Antwort. »Schon wieder«, schrie Mirjam. »Aber Herr Brackmann, det müssen Sie doch heimlich mit meiner Tante ausmachen. Und Ihre Maske müssen Sie bis zum allerletzten Tag gut verstecken.«
»Verstecken, ja det is ein großartiger Gedanke. Aber wohin in meiner engen Wohnung? Am besten vielleicht unter meinem Bett?«
Mirjam: »Nein, auch det dürfen Sie nicht sagen. Dann kann ja jeder hingehen und sie finden.«
Erwin hängte sich an seines Vaters Hals und lachte. »Er sagt det doch nur, um euch zu verkohlen. Wenn er sagt, er nimmt'n Chinesenanzug, dann nimmt er bestimmt ein Eskimokostüm. Ich kenne ihn. Nicht wahr, Vater?« Erwin wollte nicht, daß man seinen Vater auslachte, und natürlich hatte er recht. Herr Brackmann wußte schon, was er tat. Er blinzelte vielsagend und setzte sich neben Frau Manasse. Sie tuschelten eifrig zusammen. Frau Manasse nickte mehrmals und sagte: »Ganz richtig. So geht's. Jawohl, so geht's.«
Die Kinder wurden immer neugieriger. Jetzt hätten sie doch gern gehört, was die beiden tuschelten. Lotte schlich sich recht nahe an den Vater heran, aber dieser trieb sie fort und sprach mit seinem Besuch nur noch in der Zeichensprache. Es war sehr lustig und fast so geheimnisvoll wie vor Weihnachten.
Schließlich fingen sie ernsthaft an zu arbeiten. Vater Brackmann war der erste, der vernünftig wurde. Er fand mit Hilfe der Kinder einen herrlichen Text für das Plakat.
»Achtung!
An alle Mitbewohner und Hausgenossen
In Anbetracht der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die für viele von uns zu einer unvermeidlichen Schicksalsfrage geworden sind,...«
Das klang sehr großartig, aber Emil sagte, das sei so unverständlich und schwierig in der Sprache. Und Lotte schlug vor, sie wollten einfach schreiben: »Wir machen einen Maskenball, und ihr seid alle eingeladen.«
Erwin schob sie beiseite und rief: »Nein, das erste klingt viel großartiger, richtig wie aus der Zeitung, wie eine öffentliche Bekanntmachung. Weiter, Vater, bitte weiter.«
Vater Brackmann schrieb weiter: ... »hat ein ungenannt bleiben wollendes Komitee beschlossen...«
»Det sind wir.« Emil sah alle bedeutungsvoll an, und Erwin kniff ihn vor Vergnügen in den Arm, um seiner Freude Ausdruck zu geben.
Vater Brackmann fand plötzlich »ungenannt bleiben wollendes« nicht mehr gut und suchte nach einem besseren Satz. Aber die Kinder versicherten, gerade das klänge so großartig und so »erwachsen«, das müßte bleiben.
Also ließen sie es stehen.
»... und beschlossen—« fuhr Vater Brackmann fort, »zur gegenseitigen Selbsthilfe zu greifen. Das Komitee ist durch Vermittlung genügender Hilfskräfte in der Lage, im Hause Nummer 67 und den angrenzenden Hinterhäusern ein großes Fest zu veranstalten. Das Fest wird in der Vollmondnacht am 15. Mai 1932 stattfinden. (Bei schlechtem Wetter an einem der darauffolgenden Tage.) Alle Hausbewohner sind dazu eingeladen und werden aufgefordert, je nach Vermögen durch freiwillige Gaben oder Gelder — jede, auch die kleinste Gabe ist willkommen — sich an dem allgemeinen Hilfswerk zu beteiligen. Der Reinertrag aller freiwilligen Spenden und Einnahmen kommt in eine Mieterschutzkasse, aus der Mietsdarlehen und andere Unterstützungen an bedürftige Hausbewohner abgegeben werden.«
»Das klingt fabelhaft!« Mirjam seufzte fast vor Bewunderung.
»Junge, Junge«,
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