Die Kinder aus Nr. 67
nicht meinem ärgsten Feinde schenken«, sagte Fräulein Holm und schüttelte sich vor Abscheu. Die Kinder wußten nicht gleich, sollten sie erzürnt oder traurig sein.
»Warum eigentlich nicht?« fragte Erwin schüchtern.
»Weil's ein ganz gräßlicher Kitsch ist. Oder nützt der vielleicht irgend jemandem?« Fräulein Holm sah sich fragend im Kreise um.
»Det nich gerade, aber er sieht dafür schön aus!«
»Nein, er sieht nicht einmal schön aus«, sagte Fräulein Holm sehr bestimmt. »Ihr solltet ihn lieber kaputtschlagen oder verbrennen.«
Erwin faßte an seine Stirn, um anzudeuten, daß Fräulein Holm wohl nicht ganz in Ordnung dort oben sei.
»Fräulein Holm«, sagte er, »wenn wir ihn kaputtschlagen, gibts Scherben, und Scherben haben wir hier schon genug. Verbrennen geht überhaupt nich. Der Engel ist nämlich aus Gips und brennt nich. Er verkohlt nur.«
Fräulein Holm lachte. Dann ging sie umher und betrachtete alles. Zu jedem Stück sagte sie etwas. Sie erklärte, welches gut und welches schlecht sei.
»Der Kinderwagen ist das netteste und ihr solltet noch mehr alte Sachen sammeln, die ihr auflackiert und neu vorrichtet. Daran werden alle Freude haben.«
Die Kinder hörten aufmerksam zu und ließen Fräulein Holm reden, obgleich es ein wenig zu sehr nach Schulunterricht klang.
»Könnten Sie uns nicht sagen, wo wir Kerzen herbekommen, schöne Lichter zur Illumination?« fragte Erwin.
Fräulein Holm versprach, sich danach umzutun. Einige Tage später brachte sie wirklich einige Schachteln als Beitrag. »Ich habe sie bei der Seifenmüllern gekauft«, berichtete sie. »Es waren ihre letzten, mehr hatte sie nicht.«
Alle Kinder freuten sich. Nun hatte die Seifenmüllern auch einen Profit vom Maskenball.
Fräulein Holm brachte sogar bald danach noch einige holzgedrechselte Leuchter und Schalen. Sie sahen sehr vornehm aus, wie aus den teuren kunstgewerblichen Geschäften im Westen der Stadt. Und jetzt erzählte Fräulein Holm, daß sie in einem solchen Geschäft angestellt sei und dort als Verkäuferin arbeite. Sie bekam diese Waren billig, weil sie kleine Fehler hatten. Die Kinder sahen aber die Fehler gar nicht. Auch für genügend Seidenpapier sorgte Fräulein Holm. Die Mädchen beklebten die gesammelten Zündholzschachteln und schnitzten und klebten viele Stunden Lichtbehälter.
Es wurde immer eifriger gearbeitet. Sie dachten gar nichts anderes mehr als: Maskenball!
Dabei lernten sich alle Leute im Haus viel besser kennen und verstehen. Manche Bewohner, die früher nie mit den Kindern geredet hatten, sprachen sie jetzt an, holten sich bei ihnen Ratschläge und gaben ihnen solche.
»Es ist, als ob wir alle eine Familie geworden wären«, stellte Erwin fest.
Auch bei Frau Manasse gingen immer mehr Leute ein und aus. Die Frauen aus dem Häuserblock Nummer 67 kramten in den Masken. Sie lachten viel dabei, und Frau Manasse war zu allen sehr freundlich. Wenn die Kinder einen Bekannten mit einem Paket aus Frau Manasses Wohnung treten sahen, rieten sie sofort, was für ein Kostüm sich der oder jener wohl ausgesucht haben mochte.
Frau Manasse bewahrte Stillschweigen. Sie verriet nichts. Auch wenn Mirjam noch so sehr bettelte: »Nur diesmal, ausnahmsweise, sag mir doch, wat hat die Frau Biedermann gewählt? Wat nahm sich der Herr Däring? Ich glaube, es war das Teufelsgewand. Sag doch nur einfach ja oder nein.«
Frau Manasse sagte immer: »Ich weiß nich.« Und dann rüttelte sie an der alten Pfefferkuchenbüchse, die zur Geldkassette geworden war. Aber sie ließ die Kinder nicht ein einziges Mal das Geld nachzählen. Der Deckel war mit Leukoplaststreifen fest angeklebt. Zwischen den Worten:
Nürnberger Lebkuchen
war ein Schlitz geschnitten worden zum Hineinwerfen des Geldes.
»Ich will selber gar nicht wissen, wat darin ist. Det wird erst am Festabend vor aller Augen geöffnet und überprüft.«
Die Kinder durften die Büchse aber in die Hand nehmen, prüfend abwägen, schütteln oder abschätzen, wieviel Geld schon darin war.
Der Zauberkünstler Battista Barretta
Allmählich mußten sie an das Programm denken. Sie hatten schon alle Lesebücher und Gedichtbände durchsucht. Sie hatten einige Gedichte gelernt. Heiner versuchte, ein richtiges Theaterstück zu schreiben. Er kam aber nicht zurecht damit, und als er es den andern vorlas, sagte die kleine Teetzmann enttäuscht: »Is ja so kurz und
Weitere Kostenlose Bücher