Die Kinder der Elefantenhüter
Finø, ein Wasser mit einem leichten, perlenden Schleier natürlicher Kohlensäure,und jedem, dem sie eingeschenkt hat, schaut sie eine Sekunde lang in die Augen.
Ich bin der letzte, und während sie mir in die Augen schaut, scheint sie zu bemerken, was auch mir erst in diesem Moment bewusst wird. Dass ich nämlich der Jüngste bin. Und obwohl ich dem Dasein auf den Grund geschaut und zweimal meine Eltern verloren habe und in der Auswahlmannschaft kicke und große Liebe wie die Sonne über Finø habe auf- und untergehen sehen, bin ich trotzdem erst vierzehn. Und wenn es etwas gibt, was man in dieser Situation braucht, dann eine Frau wie Aschanti, die das versteht und einem ein Sandwich belegt, das den Hungertod auf unbestimmte Zeit hinauszögert, und einen mit, nun, ich wage es so zu nennen: Fürsorge betrachtet.
Dann setzt sie sich zu uns. Wir stehen kurz vor der Beantwortung großer Fragen.
Ihr wisst doch noch, dass ich Aschanti meine Nummer gab«, sagt Hans, »kurz bevor wir auseinandergegangen sind.«
Tilte und Basker und ich starren ihn ausdruckslos an. Wir sind zu feinfühlig, ihn daran zu erinnern, wie sie in Wirklichkeit an die Nummer kam.
»Sie rief mich eine Stunde später an, da war ich in Klampenborg und spannte gerade die Pferde aus. Ich habe sie sofort abgeholt. Seitdem haben wir uns nicht mehr getrennt.«
»Er hat mir seine Gedichte vorgelesen«, sagt Aschanti. »Auf der Mole, im Skovshoved Hafen.«
Es sagt einiges über Tiltes und meine Selbstbeherrschung aus, dass wir bei dieser Nachricht keinen Mucks von uns geben. Viele Frauen hätten sich beim Vorlesen von Hans’ Gedichten ins Hafenbecken gestürzt, um nicht noch mehr hören zu müssen. Diese Frau hier nicht. Das zeugt von der Unergründlichkeit der Liebe, die sich da vor unseren Augen entfaltet.
»Sie ist Priesterin«, sagt Hans.
Seine Stimme ist belegt, halb von der Mayonnaise, halb vor Bewunderung.
»Der Yoruba-Religion. Sie ist in Haiti groß geworden. Geht aber hier auf die Uni. Auf der Konferenz soll sie tanzen …«
»Die heiligen Santeria-Tänze«, sagt Aschanti.
»Die die Reise aus dem Körper vorbereiten«, sagt Hans.
Tilte und ich schauen Aschanti noch einmal genauer an. Allein die Art, wie sie speist, hätte Ifigenia Bruhn, Leiterin des gleichnamigen Tanzinstituts am Finøer Markt, vor Freude weinen lassen. Und wir haben sie zwar nicht tanzen, aber wir haben sie wandeln sehen, zuletzt durch die Zimmer dieser Wohnung, sie hat einen Gang, dass es einen nicht wundern würde, wenn sie einen Abstecher über die Wände gemacht hätte und mal eben über die Decke flaniert wäre. Also wenn du mich fragst, ich hätte es nicht so furchtbar eilig, so einen Körper zu verlassen, wenn’s meiner wäre. Aber gut, jeder sucht die Tür auf seine Weise, man soll sich nicht in alles einmischen.
»Wo kommt das Auto her?«, fragt Tilte.
»Ich hab’s geliehen«, sagt Hans. »Von meinem Arbeitgeber. Er ist auf Reisen. Er wird es nicht vermissen. Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.«
Jetzt müssen wir doch schlucken. Dass es so etwas wie Gesetzesübertretungen gibt, hat Hans vielleicht schon gehört, aber ernsthaft daran geglaubt hat er sicher nie. Niemand auf Finø hat ihn jemals auch nur bei Rot über die Straße gehen sehen – und das nicht nur, weil es bei uns auf der Insel gar keine Ampeln gibt. Und jetzt hat er einen Mercedes gestohlen!
Eine Stunde ist vergangen, Tilte und ich haben kurz, aber sorgfältig berichtet, was wir erlebt haben. Wir haben die Zeitungsausschnitte auf den Tisch gelegt und die Rechnungen aus dem Schließfach, und während wir erzählen, fängt es in Hans an zu arbeiten, schließlich steht er auf, als wollte er irgendetwas zerschmettern, vielleicht zwei, dreitragende Wände, auch das ist eine seltene Seite, die wir nur von den wenigen Abenden kennen, an denen ein paar Touristen den großen Fehler begangen haben, auf ihn und seine Begleiterinnen Jagd zu machen. Aber sonst nicht. »Lammfromm« ist ein Wort, das die Psyche meines Bruders über weite Strecken kennzeichnet.
Aber jetzt nicht mehr, irgendwas ist passiert. Und als er diese Neuigkeiten über unsere Eltern hört, passiert noch mehr, er steht auf.
»Sie planen einen Diebstahl«, sagt er. »Von religiösen Kleinodien. Die vielen Menschen etwas bedeuten.«
»Aber irgendetwas hat sie veranlasst, den Plan zu ändern«, wirft Tilte ein.
»Sie wollen vorwärtskommen«, sagt Hans. »Wenn sie ihren Plan geändert haben, dann weil sie etwas
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