Die Kinder der Elefantenhüter
extraordinärer Fußballkörper. Aber etwas gibt es, für das man keine Worte hat, an dem man aber Anteil hat und das nie stirbt: das Gefühl der Freiheit.
Ich weiß, dass ich in diesem Moment in der Tür stehe. Und eigentlich ist es keine Tür, denn eine Tür ist ein Ort, aber dies hier ist überall. Es gehört keiner Religion an, es verlangt nicht, dass man an etwas glaubt oder etwas anbetet oder irgendwelche Regeln befolgt. Es verlangt nur drei Dinge: Dass man sein Herz spürt. Dass man einen Augenblick lang bereit ist, alles zu akzeptieren, auch das ungerechte Detail, sterben zu müssen. Und dass man ganz still stehen bleibt, einen Augenblick, und den Ball ins Tor rollen sieht.
Genau das erlebe ich hier und jetzt, in der Zweiraumwohnung im fünften Stock.
Und Tilte sehe ich an, dass das, was in ihr vorgeht, meinem Gefühl sehr nahe kommt. Während ich bei Hans nicht ganz so sicher bin, zurzeit sind seine Geistesgaben begrenzt, ich bezweifle, dass er Raum für eine Offenbarung hat, alles deutet darauf hin, dass ihn die Sängerin völlig ausfüllt.
Es dauert nur einen Augenblick, und der ist wie gesagt sehr diskret, man würde keine Ansichtskarte schreiben deswegen, hier gibt’s weder Fest noch Farben. Nur das Wissen, dass sich plötzlich Freiheit und Erleichterung eröffnen, wenn man in das Gefühl, sterben zu müssen, direkt hineinsieht.
Das Gefühl ist da, und dann ist es weg. Aschanti steht am Tisch, sie hat für jeden ein Sandwich gemacht.
»Wohl bekomm’s«, sagt sie. »Oder wie wir zu Hause in Haiti sagen: Bon appetit! «
Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber die dänische Wohlfahrtsgesellschaft ist nicht gleichmäßig verteilt. An gewissen Orten fehlt sie völlig, in meiner Umgebung zum Beispiel. Da liegt der Hungertod immer auf der Lauer.
Ich weiß nicht wieso, ob es das Alter ist oder mein Trainingseifer oder ob ich einen unbekannten Parasiten in meinem Verdauungssystem mit mir herumschleppe, aber ich habe ständig Hunger. So ist es immer gewesen. Als ich klein war und mein Abendgebet sprach, stellte ich mir nicht selten vor, dass Jesus mir eine Schnitte machte. Mit seinem Talent für Catering, dachte ich, meine Güte, musste der Mann Stullen schmieren können!
So ein Sandwich ist es, das Aschanti uns jetzt serviert, sie muss im Voraus dafür eingekauft haben, eine Stimmung tiefer Feierlichkeit senkt sich über den Tisch.
Das Brot ist aus frischem Sauerteig. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich hier mitten beim Essen sagen muss, dass Connys Kopfhaut genauso duftet. Und die Kruste ist brüchig wie Glas, die Krume geschmeidig und elastisch, mit großen Löchern.
Normalerweise wird es als schlechter Stil angesehen, sein Sandwich zu erforschen, aber ich kann nicht anders. Ich hebe die obere Hälfte des Baguettes hoch und blicke ins Allerheiligste: Auf den Boden hat sie Butterscheiben gelegt, die mit der dicken Seite des Käsehobels geschnittenwurden. Darauf ruht eine Schicht Mayonnaise mit dem Duft nach Knoblauch, Zitrone und tropischen Gewürzen, die sie aus den Fieberdschungeln Haitis mitgebracht haben muss. Dann kommen verschiedene kleine Salatblätter, purpurne, bittere, gekräuselte, knackige, darauf Scheiben frischen Nordseethunfischs, der Sorte, die vor Finø gefangen wird, kurz angebraten, da, wo er zerfällt, ahnt man sein rosa Inneres. Obendrauf liegen hauchdünne Ringe von roter Zwiebel und einzelne große Kapern, und ich will Meier heißen und fresse einen Besen, wenn sie nicht in Olivenöl gelegen haben. Und darauf wiederum liegt ein Strahlenglanz von Lachsrogen, großen, orangefarbenen Fischeiern, die einzeln im Mund zerplatzen und den Geschmack des Meeres der Möglichkeiten hinterlassen.
So mancher Koch und manche Kaltmamsell hätten hier aufgehört, denn das Brot ist schon zehn Zentimeter hoch, aber die singende Gazelle hat auch noch den letzten Schritt gewagt: Auf die Unterseite der oberen Baguettehälfte kommt noch eine weitere Schicht der karibischen Mayonnaise, auf der sie Olivenstückchen und roten und grünen Pfeffer verteilt hat.
Das Ganze hat einen künstlerischen Touch, vor dem man den Hut ziehen muss, denn obwohl die Kalorien ausreichten, um die Finø AllStars in die Superliga zu bringen, ist es mit einer Leichtigkeit angerichtet, als hätten alle fünf Sandwiches es darauf angelegt, aus dem Fenster zu schweben und mit den Möwen eine Ehrenrunde überm Hafen zu drehen.
Aschanti stellt uns noch je ein hohes Glas hin und kredenzt uns Mineralwasser der Brauerei
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