Die Kinder der Elefantenhüter
liegen ließ.«
»Ich möchte gerne noch hinzufügen«, sagt die Frau aus dem Ruderhaus, »dass Ibrahim im Vergleich zu meiner Kindheit, von der ich gleich erzählen werde, wie in einer Zuckerbäckerei aufgewachsen ist.«
Wir sehen sie an. Ihre Wange, auf die Pallas Athene eine Kreuz fünf gepfeffert hat, ist angeschwollen wie bei einem einseitigen Ziegenpeter. Das macht ihre Aussprache ein klein wenig undeutlich, aber man weiß, wo sie hin will, sie will, dass Ibrahims Bekenntnisse bald überstanden sind, damit sie die Bühne betreten kann.
Jetzt spricht der Mann, der unter die Tür geriet, als wir am Speicher anklopften. Sein Blick ist ein wenig unklar, wie es nach einer Gehirnerschütterung üblich ist, und von der Tür ist er ein bisschen flach im Gesicht.
»Ich halte mich zurück«, sagt er. »Gegen meine Geschichte kann man nur schwer ankommen.«
Aschanti und Pallas Athene, genau genommen auch Jakob, sieht man an, wie schockiert sie sind. Das ist gut zu verstehen. Das ist nicht gerade das, was sie von der Creme des internationalen Terrorismus erwartet hatten.
Hans und ich sind besser vorbereitet. Wir kennen Tilte und wissen, welchen Einfluss sie auf Menschen haben kann. Sie braucht nur in einem Kiosk ein Päckchen Kaugummi zu kaufen, schon fängt die Kassiererin an, ihr ihre Memoiren zu erzählen, und endet damit, sie nach Hauseeinzuladen, um ihre Ehe zu retten, ihren ungehorsamen Hund zu dressieren und die Kinder von ihrer Verwöhntheit zu kurieren.
Trotzdem ist die Situation überraschend, selbst für Hans und mich, sogar Tilte merkt, dass es Zeit für eine Erklärung ist.
»Wir hatten eine Stunde«, sagt sie. »Nachdem sie mich entführt hatten. Während wir auf Bellerad warteten. Die Stunde habe ich dazu genutzt, ihnen von der Tür zu erzählen.«
Die drei Schweber nicken.
»Es war eine intensive Atmosphäre«, sagt Tilte. »Ich habe sie zu einer Tour im Sarg eingeladen. Einen echten Sarg hatte ich leider nicht zur Hand. Aber eine Holzkiste. War nicht ganz das Gleiche. Aber als wir die Maschinenpistolen und den Sprengstoff rausgenommen hatten, ging’s einigermaßen. Gott sei Dank hatte ich den hier mit.«
Erst kann ich nicht sehen, was sie in der Hand hält, dann erkenne ich meinen alten MP3-Spieler, den mit dem Tibetanischen Totenbuch in Zwei-Drittel-Geschwindigkeit.
»Es war eine tiefe Begegnung«, sagt Tilte. »Als Bellerad kam, war alles verändert.«
Die Frau mit dem Mumps nickt.
»Als Balder, also Bellerad, kam, haben wir das Geld abgelehnt. Und die Pässe. Und haben ihm eine Tour im Sarg vorgeschlagen. Er wollte nicht. Aber wir werden ihn noch mal kontaktieren.«
Ich sehe mir die Schweber an. Gut sieht das aus. Überraschend, aber gut. Bewegend. Es gibt Tränen. Reue. Und die Wunde von Baskers Biss sieht zwar ernst aus, trotzdem gibt es keinen Grund zu glauben, dass Ibrahim nach einersorgfältigen plastischen Operation am Strand nicht wieder Bein zeigen könnte.
Nach einer so rapiden Bekehrung könnte man sich Sorgen um deren Haltbarkeit machen. Aber Tilte und ich sind in der Stadtbücherei Finø recht oft auf den Begriff instant enlightenment gestoßen. Also vielleicht … Andererseits, wenn man an Fußball denkt oder an die Familie, kann man eigentlich nur der Meinung sein, dass die großen Veränderungen erfahrungsgemäß ihre Zeit brauchen.
Ich bin zu höflich, um diese tiefen Reflexionen zu offenbaren. Hingegen habe ich eine andere relevante Frage.
»Wo ist Henrik?«
Damit treffe ich einen wunden Punkt. Sie sind betroffen.
»Er ist der Rädelsführer«, sagt die Frau. »Es war seine Idee.«
»Wir wurden irgendwie einer Hirnwäsche unterzogen«, sagt Ibrahim. »Und bedroht. Wir haben Angst vor Henrik. Ich ganz besonders.«
Ich verstehe ihn voll und ganz. Es erinnert mich an die Schattenseiten meiner eigenen Kindheit, als ich selber zum Apfelraub und zum Diebstahl von Stockfisch verführt worden war.
»Wir haben uns vorgenommen, alles zu erzählen«, sagt der Mann vom Speicher. »Über Henrik. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, dass sich eine solche Zusammenarbeit strafmildernd auswirken kann.«
Schwierig, in einer gefühlsmäßig derart offenen Situation einen kühlen Kopf zu bewahren, aber einer muss es ja tun.
»Und wo ist Henrik nun?«, frage ich.
Sie sehen mich mit leerem Blick an. Auch Tilte.
»Er hat telefoniert«, sagt Tilte. »Gleich nachdem wir im Freihafen angekommen waren. Dann ist er verschwunden.«
»Der wird geschnappt«, sagt Hans. »Alles ist unter
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