Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
Vom Netzwerk:
darin zur Ruhe gelegt und wäre vergessen worden. Tilte nimmt eine CD aus dem Halter. Und dann kommt der große Augenblick.
    Die CD wurde letztes Jahr zur Unterstützung des Finø Boldklub in allen führenden Geschäften und Supermärkten verkauft und enthält musikalische Highlights wie das Schlachtlied mit dem Refrain »Nur Dumpfbacken fürchtenden Finø Boldklub nicht«, das für die Familie ein Sieg sondergleichen war, weil Tilte den Text und Mutter die Melodie geschrieben hatte und Vater, Hans, Tilte und ich im Chor singen, und wer genau hinhört, kann Basker im Hintergrund röcheln hören.
    Ohne jemandem zu nahe zu treten, kann ich deshalb auch getrost zugeben, dass sie unwägbare musikalische Katastrophen enthält, die derjenige, der sie einmal gehört hat, vielleicht nie völlig verdaut, aber, wie Tilte sagen würde, auf sein Totenbett mitnimmt, wo sie womöglich den Sterbeprozess beschleunigen. Damit du ungefähr ein Gefühl bekommst, wie vorsichtig du sein musst, wenn dir diese CD in die Hand fällt, will ich nur das eine Lied erwähnen, in dem Rickardt Graf Tre Løver den Frauen und den appetitlichen jungen Männern auf Finø huldigt und von dem man weiß, dass damit die eigenen Geschwister und womöglich auch die eigenen Eltern gemeint sind. Und dann gibt’s da die Nummer, wo Ejnar Tampeskælver ein paar Ausschnitte aus der Älteren Edda singt, die er komponiert hat und wo er sich selber auf der großen Opfertrommel der Vereinigung Asathor begleitet; die Einspielung ist kurz nach seiner Entlassung als Schulleiter entstanden, der Titel hieß glaube ich »Sehnsucht nach der Bråvalla-Schlacht«. Und als bewegenden Höhepunkt darf man die Aufnahme bezeichnen, wo mein Bruder Hans eines seiner Gedichte deklamiert, es beginnt mit dem überzeugenden Vers: »Ach, seh ich dich, du holde Rose, belebt sich meine tote Hose.«
    Kurzum, diese CD bietet nicht nur Tod und Zerstörung, sondern auch Segnungen, und was wir jetzt lauter stellen, liegt irgendwo dazwischen, denn es singt unsere Mutter, und was nun wirklich jeder vernünftige Junge und jedesgesunde Mädchen zu vermeiden sucht, ist doch wohl, die eigene Mutter singen zu hören. Gleichzeitig jedoch muss man notgedrungen zugeben, dass es schlechtere Sängerinnen gibt als meine Mutter, sie spielt selber Klavier und singt natürlich »Am Montag im Regen am Solitudevej«.
    Soweit man weiß, bin ich persönlich nie am Solitudevej gewesen, ich würde ihn also gar nicht erkennen. Aber das tut der untere Teil des neuen Regalabschnitts im Vorratskeller. Nach zwei Takten Musik gleitet dieser Teil der Wand mit zweihundert Einmachgläsern und Flaschen zehn Zentimeter nach hinten und dann senkrecht nach oben und bildet eine schwarze Öffnung.
    Tilte pfeift, und das Licht im Keller geht aus. Die Öffnung ist nicht mehr schwarz, jetzt sieht man, dass sie in einen schwach erleuchteten Raum führt.
    Wir bücken uns und treten ein. Es ist ein kleiner, weißgekalkter, vom Mondlicht erleuchteter Raum. Erst denken wir, der Mondschein falle durch ein Fenster, dann sehen wir, dass er von einem Spiegel kommt. Das Fundament des westlichen Teils des Pfarrhauses hat kleine Bogenfenster mit Maschendraht, wir hatten immer gedacht, es seien Lüftungsöffnungen, die in einen Kriechkeller führten. Jetzt erkennen wir, dass da auch ein richtiger Keller gewesen sein muss. Die Mauern des Raums sind aus Naturstein, das Licht fällt durch eine der Öffnungen im Fundament und wird mit drei schräggestellten Spiegeln heruntergeleitet. So kann es nicht von oben gesehen werden.
    Im Raum stehen ein Schreibtisch und eine Lampe, ein Stuhl und sonst nichts. Ich schalte die Lampe ein. Die Wände sind nackt und leer. Kein Schrank, kein Regal, nichts liegt auf dem Tisch. Trotzdem bleiben wir ein Weilchen stehen. Es hat etwas Schockierendes, sein ganzes Lebenan einem bestimmten Ort gelebt zu haben, den man wie seine Westentasche zu kennen meint, und plötzlich entdeckt man ein neues Zimmer.
    Obwohl es keinen Sinn hat, fahren wir mit den Fingern über die Mauer, um Hinweise auf weitere Räume zu finden. Nichts. Das Einzige, was wir finden, ist eine weiche Platte, die an der Öffnung zum Vorratskeller angebracht ist. Sie hat als Schwarzes Brett gedient, in der Oberfläche haben Nadeln Hunderte kleiner Löcher hinterlassen. Besonders meine Mutter benutzt Pinnwände, über ihren Arbeitstischen hängen immer Diagramme und Gebrauchsanweisungen und Arbeitsskizzen. Aber die Pinnwand hier ist leergeräumt.
    Wir kehren

Weitere Kostenlose Bücher