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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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umgekehrt.
    Ganz vielen Mädchen, die zum Konfirmandenunterricht gehen, mal abgesehen von den echt souveränen und ausgeglichenen wie Conny zum Beispiel, merkt man es an, dass sie im Laufe des Unterrichts meinen Vater zunehmend fixieren wie Belladonna ihre Futterkaninchen, bevor wir sie im Regenwald Randers abgeben mussten. Und bei richtig vielen Bräuten, die in der Stadtkirche Finø vor dem Traualtar stehen, habe ich dieses Zaudern gespürt, wenn mein Vater zum Beispiel sagt: »Willst du, Feodora Heißsporn, den Frigast Gänsehirt hier neben dir zum Manne nehmen?« Und leider ist es überdeutlich, dass Feodoras Zaudern daher kommt, dass mein Vater so nah vor ihr steht und sie plötzlich ahnt, dass sie durch ihr Jawort für Frigast vielleicht einer entscheidenden Möglichkeit verlustig geht und deshalb auf dem kleinen Wörtchen »ja« herumkaut, bis sie es dann endlich herauswürgt, als würde ihr der Magen ausgepumpt.
    Laut Leonora Ganefryd, die auf Finø wohl am meisten über Männer und sicher auch über Frauen weiß, hat das damit zu tun, dass mein Vater und meine Mutter so einen wehmütigen Zug um die Augen haben, als hätten sie etwas verloren und wüssten nicht was. Dieser Zug gebe unschuldigen Männern und Frauen und selbst Kindern und Jugendlichen das Gefühl, sie müssten sie streicheln und ihnen suchen helfen.
    An dem Abend, an dem Hans und Tilte und ich den Grund ihrer Wehmut entdeckten, an dem Abend fingen meine Eltern an, anstatt ihren üblichen Schlingerkurs zu halten, direkter auf den Abgrund zuzusteuern.
     
    Für den Fall, dass du lange nicht mehr in der Kirche warst oder dich in einzelnen Religionsstunden Unwohlsein befiel oder du abwesend warst, sei mir der diskrete Hinweis gestattet, dass die Handlungen in der Kirche alle heilig sind, das Heiligste aber sind die Sakramente, zum Beispiel wenn man zum Abendmahl geht oder getauft und gesegnet wird und wenn mein Vater für uns alle das Vaterunser betet. An dem Abend in der Küche fragte Tilte Vater, ob Gott in den Sakramenten anwesend sei, die Frage klang ganz harmlos, Tilte sprach schließlich oft mit Vater über Religion, und man kann genug Beispiele nennen, wo diese Gespräche gut verliefen.
    Just dieser Abend war einer von denen, die ich schon erwähnte und die du hoffentlich auch kennst, ein Abend, wo man seiner Familie eine Chance geben möchte, weil sie vielleicht doch eine Zukunft hat, jedenfalls für die nächste Viertelstunde. Meine Mutter zentrierte die Achsen einer Uhr, an der sie gerade baute, und mein Vater machte einen Kalbsfonds. Das ist eine Art Soße aus Fleisch, Knochen und Gewürzen, so dass das ganze Haus nach Leichenhalle riecht. Die Soße wird eingekocht, bis sie so dick ist, dass man damit Sofakissen ausstopfen könnte, wenn das nicht doch eine etwas zu heftige Sudelei wäre. Weil nun Vater sich über die Töpfe beugt und weil der Fonds dick und die Laune prima ist, ergreift er Tiltes Frage wie einen Spielballon, Gott sei ja überall dabei, sagt er, wie eine aus dem Heiligen Geist gekochte klare Suppe, aber in den Sakramenten ist er als Kalbsfonds anwesend, in einer sehr dickflüssigen und aromatischen Version.
    Nachdem er das gesagt hat, strahlt er eine Selbstzufriedenheit aus, die ebenfalls dickflüssig ist, man sieht es ihm an: Das habe ich jetzt sowohl pädagogisch als auchtheologisch tiefsinnig ausgedrückt. Aber nun kommt Tilte wieder zum Zuge.
    »Und woher weiß man das?«, fragt sie.
    »In erster Linie aus dem Neuen Testament«, sagt Vater.
    »Aber Vater«, sagt Tilte, »die Taufe zum Beispiel, es gibt doch keine Stelle in der Bibel, wo Jesus Kinder tauft, immer nur Erwachsene, das heißt, die Kindtaufe kommt nicht aus der Bibel, woher denn dann?«
    Jetzt fängt die Stimmung in der Küche an, sich zu verändern. Baskers Atmung wird mühseliger, und Mutter blickt von ihrem Uhrwerk auf. Wir hören alle, dass Tilte auf einen umgekehrten Dschingis Khan aus ist, wie ich es nenne. Der Ausdruck ist folgendermaßen zu erklären: Wenn man an die großen Buhmänner der Weltgeschichte denkt, die wirklich Unheil angerichtet haben, wie Hitler und Dschingis Khan und der Libero der Mannschaft von Læsø, der Hans umsenste und ihm das Bein brach, wenn man an die denkt, wünscht man sich, dass Tilte dagewesen wäre, weil sie nämlich jeden beliebigen Kinderschreck zurückschlagen und dahin treiben kann, wo er herkommt, nämlich in die sibirischen Sümpfe. Und das hat sie jetzt mit Vater vor.
    »Die Kindtaufe«, sagt Vater, »stammt

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