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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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aus dem Mittelalter, wo viele Kinder schon als Säuglinge starben, sie ist ein Versuch, ihre Seelen zu retten.«
    Tilte ist aufgestanden und geht auf Vater zu.
    »Wenn nun die Kindtaufe in der Bibel nicht erwähnt wird«, sagt sie, »wie kannst du dann sicher sein, dass der Heilige Geist anwesend ist, woher weißt du das denn?«
    »Ich spüre es«, sagt Vater.
    Das hätte er nicht sagen sollen. Aber er befindet sich auf dem Rückzug in den Sumpf, in solch einer Situationist einem jedes Mittel recht, um nicht hinabgezogen zu werden.
    Das Problem ist, dass wir drei Kinder und Basker hören können, dass Vater in dieser Sache nicht ganz ehrlich ist.
    In seinen Predigten hat er sich auf die Stimmung spezialisiert, die zu Jesu Zeit in Palästina herrschte. Vater und Mutter waren zweimal mit der Theologischen Hochschule in Palästina, aus den Fahrten schöpft mein Vater die Inspiration, um Himmel und Sonne und die Menschenmenge und die Esel zu beschreiben, und ich sage dir, mein Vater kann predigen, dass du denkst, dir knirscht der Staub zwischen den Zähnen und du bekommst gleich einen Sonnenstich, obwohl du an einem wolkenverhangenen Adventssonntag in der Stadtkirche in Finø sitzt.
    Aber wenn er sich von dieser Stimmung fortbewegt und zum Eigentlichen übergeht, zu dem, was bei der Verklärung auf dem Berg eigentlich geschah, wo Jesus Gott in einer Wolke sieht, und wenn er erklären soll, was Jesus meinte, als er sagte »Mein Reich ist hier«, und ob er wirklich auf dem Wasser ging und wie es sich eigentlich mit der Auferstehung des Fleisches verhält, also dass man nach dem Tod im Paradies seinen Körper wiedererhält, was im Grunde ja eine schöne Sache wäre, nicht zuletzt für das Kalb, das seinen Körper für den Fonds zur Verfügung gestellt hat, wenn er das alles erklären soll, klingt er nicht mehr wie er selbst, dann klingt er wie ein Mensch, der etwas Auswendiggelerntes herunterleiert, weil er es im Grunde selbst nicht versteht.
    Eines können wir echt nicht ertragen, und zwar wenn Vater und Mutter nicht wie sie selbst, sondern wie etwas anderes klingen, deshalb verfolgt Tilte Vater bis in den Sumpf.
    »Wie spürst du das, Vater?«
    Das ist nicht boshaft gefragt. Nur sehr eindringlich. Und dann geschieht etwas Überraschendes. Vater sieht Tilte an, dann uns, dann sagt er: »Ich weiß es nicht.«
    Und nun treten ihm Tränen in die Augen.
    Natürlich haben wir Vater schon weinen sehen, so ist das nicht. Wenn man mit jemandem wie meiner Mutter verheiratet ist, die häufig alles um sich herum vergisst, auch ihren Mann und ihre Kinder und ihren Hund, weil sie von der Idee besessen ist, selber eine mechanische Armbanduhr zu bauen, und ohne zu schlafen vierundzwanzig Stunden am Stück die Achsen für die Zahnräder zentriert und uns Kinder und unsern Vater vernachlässigt, wenn man so eine Ehefrau hat, muss man sich mindestens alle vierzehn Tage an der Brust guter Freunde ausweinen, und das hat Vater bei Beamtem Bent oder Rettungs-John bestimmt schon oft getan.
    Aber er hat es noch nie vor uns getan. Wir sehen Vater in der Kirche weinen, wenn er etwas besonders Schönes gesagt hat, dann weint er vor Rührung und Dankbarkeit, weil der Herrgott dem kleinen Finø einen so herausragenden Pfarrer geschenkt hat, wie er einer ist. Oder er weint bei einer Beerdigung aus Mitgefühl mit den Hinterbliebenen, denn man muss zerknirscht zugeben, dass das Mitgefühl meines Vaters fast so groß ist wie seine Selbstzufriedenheit.
    Aber was wir jetzt in der Küche erleben, ist größer. Und es ist immer in Vater gewesen, aber erst jetzt kommt es nach außen, und zunächst haben wir kein Wort dafür. Nun geht Vater hinaus, Mutter folgt ihm, und Tilte und Hans und Basker und ich, wir sehen uns an. Einen Augenblick lang rühren wir uns nicht, und plötzlich sagt Tilte:
    »Sie sind Elefantenhüter, das ist Mutters und Vaters Problem, sie sind Elefantenhüter, ohne es zu wissen.«
    Wir wissen alle, was sie meint. Sie meint, dass Mutter und Vater etwas in sich haben, das viel größer ist als sie selbst, etwas, das sie nicht kontrollieren können, und zum ersten Mal können wir Kinder es ganz deutlich erkennen: Sie wollen wissen, was Gott wirklich ist, sie wollen Gott begegnen, deswegen ist die Frage so wichtig, ob man sich sicher sein kann, dass er in den Sakramenten ist. Und nicht nur Vater, auch Mutter lebt in erster Linie dafür, das ist die Sehnsucht, die ihren Augen die Wehmut verleiht, eine Sehnsucht, groß wie ein Elefant, und wir

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