Die Kinder der Elefantenhüter
ungefähr über ihr herab, ist dann aber in der blauen Luft verschwunden.
Dass die Taube somit begabter zu sein scheint als die Schleiereule sowie etliche meiner Klassenkameraden, ist der einzige Trost in einer Situation, die nun mit deprimierenden Details angereichert wird. Das erste ist, dass die Kirchgänger, die an diesem Sonntag ganz vorn sitzen, um zu erforschen, ob die Geschehnisse des letzten Sonntags auf Zufall beruhten oder eine neue Epoche einläuten, dass diese Kirchgänger drauf und dran sind abzuheben.
Zwar betrachtet mein Vater die Taube, aber nicht etwa überrascht, keinesfalls, er betrachtet sie wie das Selbstverständlichste der Welt, und dann fährt er fort. Die Stimmung im Kirchenraum ist angespannt, die Menschen sind erschüttert, aber er führt ungerührt seine Predigt zu Ende, Mutter spielt, es wird gesungen, und die Menschen verlassen die Kirche schockiert, alle außer uns Kindern, wir sind nicht schockiert, wir sind deprimiert, wir gehen aus der Kirche und an Vater vorbei, ohne ihn anzusehen. Nur Tilte wirft ihm so einen Blick zu, mit dem man normalerweise Patienten auf der Intensivstation bedenkt und anschließend auf dem Friedhof, aber Vater lässt das völlig kalt.
Am Nachmittag versammeln wir uns in Tiltes Zimmer, und Hans versucht wie immer, die Situation zu retten.
»Irgendwie ist es doch schön«, sagt er. »Vielleicht verhilft es den Menschen zu einem tieferen Glauben.«
»Hansemann«, sagt Tilte, »es ist schon schlimm genug, den Menschen jeden Sonntag zu erzählen, dass es Gott gibt und das Dasein einen Sinn hat, wenn man selber nicht hundertprozentig sicher ist. Und das kann man ja nur sein,wenn man es selbst erlebt hat, aber das hat Vater nicht, wie er zugegeben hat. Das ist das eine und an sich schon schlimm genug. Aber dass er und Mutter nun eine weiße Taube aufbieten und durchblicken lassen, es handle sich um ein Wunder, das bedeutet, das Gottesvertrauen der Menschen zu missbrauchen, und wer das tut, gräbt sein eigenes Grab.«
Wir verschwenden erst gar keine Zeit damit, über das Auftauchen der Taube zu reden, das ist nicht nötig, denn wir Kinder putzen alle halbe Jahre den großen Messingkronleuchter in der Kirche, und die Vorrichtung, mit der wir ihn herunterholen, ist stimmgesteuert und sitzt zusammen mit der Aufhängung oben zwischen Kirchengewölbe und Dach. Dorthin gelangt man über eine Kriechbrücke, auf der es reichlich Platz für ein Vogelbauer gibt. Für Mutter muss es ein Kinderspiel gewesen sein, das Bauer mit einem Boden auszustatten, der per Fernbedienung aufgeklappt werden kann, so dass die Taube eben noch friedlich auf ihrer Stange saß und dem Gottesdienst folgte und sich im nächsten Moment zu ihrer eigenen Verblüffung im freien Fall in den Kirchenraum befand.
Auch darauf, wo die Taube ursprünglich herkam, gibt es keinen Grund, näher einzugehen. Unsere Familie hat engsten Kontakt zur Tierhandlung Grenå, die uns den Kontakt zu jenem Hundezüchter vermittelt hat, bei dem wir Basker I, II und III gekauft haben, so wie es auch jenes stilvolle Geschäft ist, das uns immer mit Lebendfutter für Belladonna und Martin Luther versorgt hat, inklusive frischem Fisch für die Sandtigerhaie.
Hans versucht, Mutter und Vater ein letztes Mal in Schutz zu nehmen.
»Und was ist mit deinen Extensions?«, fragt er.
Wenn wir Tilte zu einer besseren Ökonomie zu verhelfen suchen, indem wir sie darauf aufmerksam machen, dass sie ein Großteil der horrenden Summen, die sie in Bermuda Svartbags Bestattungsunternehmen und bei Leonora Ganefryds »sexuell-kulturellem Coaching« verdient, in Århus für ihre Haarverlängerung durchbringt, pflegt sie zu antworten, das habe, wenn man es recht bedenkt, einen spirituellen Zweck: Sie helfe Gott bei der Ausbesserung jener Einzelheiten, die er bei der Schöpfung nicht hatte vollenden können. Hans meint damit also, ob es nicht auch in Ordnung sei, Gott zu einem etwas besseren Gottesdienst zu verhelfen?
Aber jetzt schaltet Tilte in einen höheren Gang, nun wird sie so seriös und gefährlich, dass schwächere Typen als Hans und ich Deckung gesucht hätten.
»Es gibt die Sache mit Gott«, sagt sie, »und sie ist das Wichtigste im Leben eines Menschen. Egal, woran man glaubt oder nicht, was man weiß oder nicht, alle suchen nach dem Sinn ihres eigenen Lebens, alle möchten herausfinden, ob es außerhalb des Gefängnisses noch etwas gibt, etwas, das die Welt entstehen ließ und ihr das Aussehen gab, das sie hat, und allesamt
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