Die Kinder der Elefantenhüter
uns duckt sich hinter den großen Wäldern, die wenigen Häuser zwischen den beiden Orten liegen verstreut, und der Mond hat sich versteckt, was gerade in dieser Nacht politisch vielleicht am klügsten ist.
Rundum spürt man den Space , der Finø so auszeichnet, keine Stelle auf der Insel ist weniger als fünfzig Kilometer vom Festland entfernt, das nächstgelegene ist Schweden, wo sich die Einöde fortsetzt. Tilte und ich hängen der Theorie an, dass sich die Suche nach der Tür hier ganz besonders vorteilhaft gestaltet, weil nämlich Gedanken ein Hindernis sind und einen im Gefängnis festhalten, wohingegen hier bei uns die Gedanken gleichsam aus dem Kopf und in den Weltraum gesogen werden, ein Umstand, der für Alexander Bister Finkeblod und Kaj Molester Lander natürlich hart und belastend sein muss, wer von vorneherein eher wenig denkt, bei dem lässt die Qualität natürlich zu wünschen übrig. Aber für Personen wie Tilte und mich, deren Kopf mit zündenden Ideen derart angefüllt ist, dass sie permanent einen Schädelbasisbruch von innenzu befürchten haben, für die sind die Leere und der Raum auf Finø das reinste Labsal, wie der Kirchenlieddichter schreibt. Ich habe das dann in die Touristenbroschüre übernommen, und zwar in den von mir verfassten Abschnitt »Finø by night« – Tilte und Dorada Rasmussen meinten, ich hätte aufgrund meiner Vergangenheit mehr Erfahrung mit dem späten Zubettgehen als die meisten anderen.
»Stimmt was nicht?«, fragt Bermuda.
Man kann nicht Leichenbestatterin und Hebamme sein, ohne ein verfeinertes Organ für die Stimmungen anderer Leute zu entwickeln, und Tilte und ich tragen ja gerade ein schweres Gewicht auf unseren Schultern.
»Vater und Mutter sind verschwunden«, sage ich.
Bermuda hat, möchte ich sagen, einen direkten und unverstellten Blick auf das Dasein, was sicher daran liegt, dass sie pausenlos Kindern auf die Welt hilft und Tote unter die Erde bringt. Für uns ist es sehr ungewohnt, sie – wie in diesem Moment – mit irgendetwas ringen zu sehen.
»Ejnar hätte sie fliegen sollen«, sagt sie.
Bermuda ist mit Ejnar Tampeskælver verheiratet, der den Flugschein gemacht hat, um selber nach Norwegen und Schweden und Island fliegen zu können und einen engeren Kontakt zu den skandinavischen Filialen der Vereinigung Asathor knüpfen zu können. Um Flugstunden zu sammeln, fliegt Ejnar Finøer zum Festland und zurück, wenn sie nur das Benzin bezahlen. Er hat unsere Eltern unzählige Male geflogen, im Übrigen sind sie die besten Freunde.
»Sie mussten eigentlich zum Flughafen in Billund«, sagt Bermuda. »Aber plötzlich wollten sie erst einen Tag später los. Da konnte Ejnar nicht, er hatte Training. Aberer hat hinterher mit dem anderen Piloten gesprochen. Sie wurden in Jonstrup abgesetzt.«
Es kommt schon vor, dass Leute von Finø zu dem stillgelegten Flugplatz bei Jonstrup geflogen werden. Aber der Weg nach La Gomera ist das nicht. Wenn man von Finø auf die Kanarischen Inseln will, fliegt man zum Flughafen Billund und steigt da um.
»Ich dachte, ich sollte euch das vielleicht sagen«, sagt Bermuda. »In dieser besonderen Situation.«
Tilte tätschelt ihr den Arm. Sie und Bermuda haben ein enges Verhältnis. Nur wenig lässt Menschen einander so nahekommen wie die gemeinsame Aufgabe, Leichen in Särge zu legen.
Bermuda dreht sich um, lässt den Motor an und fährt in die mondlose, aus meiner Beschreibung in der Reisebroschüre bekannte finøische Nacht hinaus.
Es ist nicht angenehm, aber da müssen wir durch. Es muss getan werden, was alle Weisen gesagt haben: Kein spiritueller Fortschritt ohne unerbittliche Ehrlichkeit. Und so komme ich auf meine Eltern und den nächsten Schritt ihres Abstiegs zurück. Dieser wird während der Predigt am folgenden Sonntag vollzogen, also bereits eine Woche nach den meteorologischen Katastrophen, und obwohl dieser Schritt gar nicht so bedeutend aussieht, ist er doch groß.
Der Text des Tages ist aus der Apostelgeschichte, und als Vater von der Auferstehung spricht, flattert eine weiße Taube von der Decke herab, umrundet ein paarmal das Modell des Teeklippers Schaumdelfin von Finø , das unter dem Gewölbe hängt und von Mutter gebaut wurde, und fliegt auf die Orgel und meine Mutter zu. Ich merke, wie es mir kalt den Rücken hinunterläuft bei der Vorstellung,der Vogel könnte sich gleich auf ihrer Schulter niederlassen, den Schnabel an ihrer Nase reiben und zärtlich zu gurren anfangen, aber er schwebt zwar
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