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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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Stethoskop, das ich ihr um den Hals hänge.
    Der Gesamteindruck ist nicht schlecht. Natürlich verführt er einen nicht zu dem Gedanken, man stehe einer Person gegenüber, die man anbetteln würde, das Messer zu führen, wenn man sich einer Hodenbruch-OP unterziehen müsste. Aber vor einem oberflächlichen Blick kann Vibe bestehen.
    Und sie bekommt ihren oberflächlichen Blick, denn jetzt wird an die Tür geklopft, sie geht auf, und ein treten Svend-Helge, Gitte und Sindbad.
    Obwohl es drei intelligente und tiefe Persönlichkeiten sind, sind sie verständlicherweise überrascht. Keiner von ihnen hat Rickardt Graf Tre Løver je gesehen, und allein der Smoking aus Silberlamé und die Bauchbinde könnten einen ja an seinem gesunden Verstand und seiner Urteilskraft zweifeln lassen. Tilte und mich erkennen sie nicht inunserer Verkleidung, aber offenbar können sie sich des Gefühls nicht erwehren, uns schon einmal gesehen zu haben.
    In dieser schwierigen Situation ist es nur zu verständlich, dass sie sich an die natürliche Autorität im Zimmer wenden.
    »Doktor«, sagt Gitte zu Vibe, »Sie wissen nicht zufällig, wem die Kabine hier gleich um die Ecke gehört?«
    Jetzt kommt Leben in den Grafen.
    »Mir«, sagt er.
    Gitte und Svend-Helge und Sindbad starren ihn an. Viele Fragen liegen ihnen auf der Zunge. Gitte stellt die nächstliegende.
    »Für wen ist der Sarg da?«
    Tilte hat sich auf der Auswechselbank ausgeruht, jetzt ist sie wieder auf dem Spielfeld zurück.
    »Auf Anraten des Schiffsarztes soll Rickardt für die Verstorbene einige Ragas spielen. Um sie im Nachtodzustand zu unterstützen.«
    Sven-Helge, Sindbad und Gitte betrachten Rickardt mit neuem Interesse und mit Sympathie. Denn wenn sich die großen Religionen über etwas einig sind, dann über die Vorteile einer helfenden Hand im Nachtodzustand.
    »Doktor«, sagt Gitte. »Für Ihre Fürsorge sind wir sehr dankbar. Und ich möchte gern die Gelegenheit nutzen, um mit Ihnen die Frage des Lebens nach dem Tode zu erörtern.«
    Tilte richtet sich auf. Sie öffnet die Tür zum Gang.
    »Die Ärztin steht vor einer schwierigen Operation«, sagt sie.
    Große Operationen lassen alles andere vergessen, Sindbad und Svend-Helge verlassen die Klinik. Gitte sträubt sich noch.
    »Das ist eine einzigartige Möglichkeit«, sagt sie. »Um den Dialog zwischen Spiritualität und Naturwissenschaft fortzusetzen. Sie sind doch eine offene Persönlichkeit, Frau Doktor. Nicht unkritisch, aber offen. Das merke ich doch.«
    Tilte begleitet Gitte hinaus.
    »Später vielleicht«, sagt sie. »Die Ärztin läuft Ihnen nicht weg. Und steht für einen Meinungsaustausch immer gern zur Verfügung.«

 
    Tilte, Basker und ich sind auf dem herzförmigen Haremsbett in unserer Kabine kollabiert. Wir sind uns einig geworden, dass wir zu müde sind, um Vibe wieder an ihren Platz zu schaffen, und dass Rickardt stattdessen in der Klinik etwas für sie singen wird. Wir haben ihm eine gute Nacht gewünscht und mit den Kanapees reinen Tisch gemacht und zu sagen, wir seien müde, wäre reinster Euphemismus: denn wir sind zu Tode erschöpft und bereit für die letzte Ölung.
    Aber die Gedanken mahlen unermüdlich. Das ist das Problem. Jeder große Mystiker – das zeigt die Forschung, auch Tiltes und meine – hat darauf hingewiesen, dass wir alle Denkfabriken sind, in denen die Maschinen nie stillstehen, und bei all dem Lärm hört man nicht, ob die Stille eine Antwort, und sei es nur ansatzweise, auf die etwas größeren Fragen bereithält wie zum Beispiel: Warum sind wir auf die Welt gekommen, und warum müssen wir sie wieder verlassen, und warum klopft da jetzt jemand an unsere Tür?
    Die Tür geht auf, es ist Graf Rickardt mit seiner Erzlaute.
    »Ich mag nicht alleine sein«, sagt er. »Ich hab den Eindruck, sie guckt mich an. Dann empfing ich von meinem inneren Ratgeber den Tipp, ich solle bei euch schlafen.«
    Basker liegt zwischen Tilte und mir, wir würden nicht im Traum daran denken, Tiere mit ins Bett zu nehmen,aber Basker ist kein Tier, er ist eine Art Mensch. Jetzt schieben wir ihn zur Seite und machen Platz für den Grafen.
    »Dabei hab ich mein Bestes getan«, sagt Rickardt. »Ein Potpourri aus Milarepas Gesängen, byzantinischen Höhepunkten vom Athos, Ramana Maharschis Oden an Arunachala. Aber sie swingt nicht mit.«
    In dem Augenblick bemerkt Rickardt den Zeitungsausschnitt mit dem Foto der kreisrunden Vitrine und Aschanti und den beiden Leibwächtern.
    »Da soll ich singen«, sagt er.

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