Die Kinder der Nibelungen (German Edition)
Biologiebüchern verzeichnet gewesen. Es war ein Drache, eine steingewordene Legende, furchteinflößend und schön zugleich.
Auf dem gewaltigen Thron saß einer, der sich fast in der aus Fels gemeißelten Pracht verlor. Auf den ersten Blick glaubte Hagen, dass er sich kaum von den anderen Swart-alfar abhob, aber je näher er kam, desto augenfälliger wurden die Unterschiede zwischen dem König und seinem Volk.
Der Herr der Swart-alfar saß still wie der Stein, aus dem sein Thron gehauen war, und schien mit jedem Schritt mächtiger anzuwachsen. Ein wallender, nachtdunkler Bart fiel ihm auf die Brust, und seine schwarze Mähne wurde von einem goldenen Reif gebändigt, den er anstelle einer Krone trug. In seiner Rechten hielt er eine gewaltige Axt mit einem breiten geschwungenen Blatt.
Hagen glaubte zunächst, einem jungen Mann gegenüberzutreten, aber mit jedem Schritt, der ihm den Thron näher brachte, wurden die Zweifel größer. Die ungebeugte Haltung, das nachtdunkle Haar täuschten. Das Gesicht des Herrschers der Schwarzalben war nicht das eines forschen Draufgängers, sondern das eines alten und weisen Mannes. Aber die Augen straften diesen Eindruck Lügen. Als Hagen den Blick dieser Augen auffing, schauderte es ihn.
Sie waren schwarz wie die Nacht und tief, abgrundtief wie ein Brunnen am Ende der Welt. Und in der Tiefe der nachtdunklen Pupillen brannte ein wildes Feuer, geboren aus Leidenschaft und Zorn.
Sie waren am Fuß des Throns angekommen. Nur noch ein halbes Dutzend Schritte trennten sie von der Gegenwart des Herrschers.
»Bleib stehen! Verneige dich!«, zischte Mîm an seiner Seite. »Beuge dein Knie vor Alberich dem Nibelungen!«
Hagen senkte den Kopf, um den Bann jener Augen zu brechen, dann ließ er sich auf ein Knie nieder – es war das Einzige, was ihm in diesem Moment richtig und angemessen erschien – und richtete sich wieder auf.
Alberich musterte ihn schweigend. Hagen vergaß, dass sich viele Dutzend der Untertanen des Königs mit ihm zusammen in der Halle aufhielten. Für ihn gab es nur noch sich und den Herrn der Swart-alfar.
»Nun Midgard-Knabe«, begann der König mit einem tiefen Bass. »Wie ist dein Name?«
»Ich bin Hagen«, antwortete der Junge, ohne auch nur einen Augenblick zu überlegen.
Für einen Augenblick flammte ein dunkles Feuer in den schwarzen Augen auf. Wieder hielt ihn dieser durchdringende Blick Alberichs gebannt, wie ein Strahl, der ihn erfasste und nicht mehr losließ. Hagen glaubte, direkt vor dem König zu stehen, und hatte das Gefühl, als könnte dieser direkt auf den Grund seiner Seele schauen.
»Etwas brennt in dir«, sagte Alberich nachdenklich. »In dir lodert ein Feuer, ein wilder Wunsch und – Hass …«
Hagen krümmte sich wie unter einem Peitschenhieb, als er erkannte, dass Alberich seine Gedanken gelesen und seine geheimen Wünsche, Hoffnungen und Pläne erkannt hatte.
»Es …«, wollte Hagen beginnen, erinnerte sich aber daran, was Mîm gesagt hatte, der neben ihm stand und keine Miene verzog.
»Was ist? Sprich!«, forderte ihn der Herrscher der Swart-alfar auf, und er neigte sich interessiert nach vorn, ohne Hagen aus den Augen zu lassen.
»Es geht um Siegfried – und den Ring. Er hat ihn mir gestohlen …« Die aufgestaute Wut platzte aus Hagen förmlich heraus.
Zwischen Mîm und Alberich schien die Luft zu knistern, als Hagen erzählte, was alles geschehen war, seit sie um den Brunnen getanzt waren. Alberich hörte aufmerksam zu und unterbrach Hagen nur ein einziges Mal. Es war, als Hagen den Verlust des Rings erwähnte.
»Ahh«, sagte er, als flammte ein alter Schmerz in ihm auf, ein tief verborgener Groll, der lange geschwelt hatte und nun mit Macht an die Oberfläche drängte. Seine Augen schienen in Flammen zu stehen, als er hörte, wie Siggi Hagen den Ring stahl.
»… und dann befreite mich Mîm von den Fesseln und brachte mich hierher in Eure Halle, weil er meinte, es würde euch interessieren zu erfahren, was ich erlebt habe, Majestät … äh, Meister«, schloss Hagen seinen Bericht.
»Wohl getan, Mîm!«, sagte Alberich mit nur mühsam unterdrückter Erregung und erhob sich von seinem Thron.
Hagen schien es, als würde der König ins Riesenhafte wachsen, eine überlebensgroße Gestalt aus einer uralten, längst vergessenen Sage. Doch dann erkannte er, dass er einer Täuschung unterlegen sein musste; denn Alberich, wenngleich um Haupteslänge größer als seine Untertanen, war doch nicht größer als er selbst,
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