Die Kinder der Nibelungen (German Edition)
zögerte nicht länger, sondern schritt energisch aus.
»Und jetzt neige deinen Kopf zu mir«, bat die Königin.
Kaum hatte Gunhild sich vorgebeugt, da fühlte sie etwas Kühles auf der Haut. Als sie sich wieder aufrichtete, spürte sie ein Gewicht um ihren Hals, und etwas berührte ihre Haut, kühl, aber nicht unangenehm.
Sie sah an sich hinunter, und für den Bruchteil eines Augenblicks schwindelte ihr. Sie hatte das Gefühl, als wäre die Zeit plötzlich erstarrt und alles um sie herum in der Bewegung eingefroren. Doch das Gefühl verging im selben Lidschlag, in dem es gekommen war.
Ihr Blick fiel auf ein wunderbares Geschmeide, das sich an ihre Brust schmiegte. Es war eine Kette aus neun goldenen Reifen, von denen jeder einen eigenen Edelstein trug, welche in allen Farben des Regenbogens glitzerten. Die Ringe selbst waren mit winzigen Golddrähten umwickelt, die wiederum aufgesetzte Noppen aus Gold trugen. Kleine, eingefügte Plättchen, geschmückt mit kunstvoll verschlungenen Knoten in Form von Vögeln oder anderen Tieren, füllten die Zwischenräume. Die Arbeit war so unendlich fein, dass man sich in der Betrachtung verlieren konnte, wirkte fast zerbrechlich, aber, das konnte Gunhild schon erkennen, war doch fest und stark. Es war ein unglaublich schönes Schmuckstück.
»Oh«, entfuhr es ihr. »Womit habe ich das verdient?«
»Du brauchst es dir nicht zu verdienen; ich will, dass du es trägst. Es ist stärker als die mächtigsten Waffen.«
»Was meint Ihr damit?«, fragte Gunhild, die ihren Blick nicht von ihrem Halsschmuck wenden konnte.
»Du wirst es herausfinden … eines Tages … vielleicht bald«, entgegnete die Königin nur.
»Woher stammt der Schmuck?«, wollte Siggi wissen.
»Er ist Teil eines Lohnes, der nicht gezahlt wurde«, antwortete die Königin. »Ich glaube«, sagte sie mehr zu sich selbst, »ihr solltet von dieser Geschichte erfahren.«
Gunhild und Siggi wandten sich automatisch dem Grauen zu, doch dieser machte keine Anstalten, etwas zu erzählen, sondern trat vielmehr einen Schritt zurück in die Schatten, dass sein Gesicht hinter dem breitkrempigen Hut nun ganz im Dunkeln lag. Nur das heile Auge blinkte im Widerschein des Goldes.
»Ich sehe, der Einäugige hat euch bereits von den alten Zeiten berichtet«, ergriff die Königin wieder das Wort. »So wisst ihr vielleicht schon von Mîmirs Quell, der sich bis in den Urgrund des Riesenreiches erstreckt und an dessen Grund die Erde Gold gebiert.«
Die Kinder nickten.
»Am Golde scheiden sich die Geister. An ihm hängt Fluch und Segen. Menschen töten für Gold. Aber sein Glanz bannt auch Riesen und Asen und alle, die Yggdrasils Welten bevölkern. Hierher kam Alberich, Herr von Nibelheim, König der Swart-alfar, auf der Suche nach den Töchtern Erdas, die den Schatz bewachen. Er suchte kein Gold, nur eine Frau, die sein kaltes Lager teilen und ihm Söhne gebären sollte. Doch als die Hüterinnen des Schatzes ihn zurückwiesen, da schwor er, nie wieder ein Weib zu begehren, und brach damit den Bann, der auf dem Golde lag. Denn so hatten die Nornen beschlossen: Nur wer der Liebe entsagte, konnte dieses Gold in Besitz nehmen.
Kunstreiche Werke schmiedeten die Schwarzalben in ihren unterirdischen Hallen: Äxte und Schwerter, Brünnen, Helme, aber auch Harfen und Posaunen und Kleinode jeglicher Art, und als ihr Meisterwerk schufen die Zwerge das Halsband Brisingamen, dessen Juwelen den Glanz aller neun Welten in sich einfingen.«
Gunhild, plötzlich blass geworden, blickte an sich hinunter. Aber die Königin lächelte nur; dann fuhr sie mit ernster Stimme fort:
»Doch aus dem roten Herzen des Goldes schmiedete Alberich im Feuer von Muspelheim einen Ring. Einen magischen Ring. Einen Ring, der Macht über alle Dinge besaß, welche die Erde hervorbringt. Und der ihn unsichtbar machte.«
Diesmal war es Siggi, der den Blick abwandte und erbleichte, aber zum Glück bemerkte es keiner.
»Oben aber auf seinem hohen Sitz in Asgard sah Odin, der Herr der Asen, alles, was auf Erden und unter der Erde geschah. Er sah den Glanz des Schwarzalbenreiches und Alberichs wachsende Macht. Und da er stets weiter vorausdachte als die anderen Götter, beschloss er, eine neue Feste zu errichten, Walhall geheißen, höher, als die Mauern von Asgard jemals gewesen waren. Da die Asen selbst dieses Werk in der Kürze der Zeit nicht vollbringen konnten, nahm er dafür die Dienste zweier Riesen an, Fafnir und Fasolt mit Namen. Und auf den Rat Lokis hin gab er
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