Die Kinder der Nibelungen (German Edition)
nur Augenblicke gedauert haben konnte. Ein Blick in die Augen Alberichs sagte ihm, das sein Dösen nicht unbemerkt geblieben war, aber er konnte keinen Vorwurf in den Augen des Königs sehen.
»Bist du wieder wach?«, fragte er nur.
»Ich war nur einen Moment eingenickt«, sagte Hagen. Muss der Met gewesen sein, dachte er.
»Herein!«, rief Alberich. Der Herr der Swartalfar war offensichtlich nicht begeistert von der Störung.
Die Tür ging auf, und ein Diener trat ein. Er verbeugte sich.
»Der Graue wünscht euch zu sprechen, Meister«, begann der Swart-alf. »Es gibt wichtige Gründe, sagt er.«
»Es gibt immer wichtige Gründe, wenn das alte Einauge mich sprechen will. Und nicht immer sind seine Anliegen meine Anliegen; aber bitte, lasst ihn ein«, sagte Alberich in einem seltsam herablassenden Ton.
Hagens Haltung hatte sich gespannt, als Alberich etwas von ›Einauge‹ sagte. Sollte das etwa, schoss es ihm durch den Kopf, der sein, der uns in die Höhlen geführt hat?
Sein Verdacht bestätigte sich, kaum dass der Herr der Swart-alfar zu Ende geredet hatte. Der alte Mann mit dem einen Auge, der ihr Führer in die Anderswelt gewesen war, trat durch die Tür in das Zimmer.
Hagen besah ihn sich genauer. Konnte er nach all seinen Erlebnissen noch daran zweifeln, wen er hier vor sich hatte?
Der Graue wirkte erschöpft und abgekämpft. Sein Gesicht, das Hagen als das eines eindrucksvollen, wenngleich etwas müden alten Herrn in Erinnerung hatte, glich nun einer wächsernen Maske. Nur das geschlossene Auge zuckte. Der graue Mantel wehte um seine Schultern, aber Hagen sah jetzt, dass auch er fadenscheinig und an den Nähten ausgefranst war.
In diesem Moment flogen die Raben durch die offene Tür und setzten sich auf die Lehnen eines der nicht besetzten Stühle. Hagen konnte nun auch die Tiere zum ersten Mal bei Licht betrachten. Sie waren gewiss einst prächtige Exemplare ihrer Art gewesen. Doch ihr schwarzes Gefieder wirkte stumpf und zerrupft und hatte nichts von jenem bläulichen Unterton, der Federn so herrlich schimmern ließ.
»Was ist, Einauge?«, fragte Alberich. »Welcher wichtige Anlass führt dich hierher. Sonst meidest du uns doch eher?«
»Das hat er über uns gesagt, Vater. Man sollte Ymirs Gezücht meiden …«, sagte Hagen.
Aber er wurde von Alberich sanft unterbrochen. »Das sagt er jedem, doch es kommen immer wieder Zeiten, da lenkt Herr Odin seine Schritte in mein finsteres Reich. Und wir haben uns schon immer kleine Freundlichkeiten an den Kopf geworfen. Lass also gut sein, mein Sohn«, beruhigte ihn Alberich, und Hagen spürte förmlich den Hohn, der gegen den Alten gerichtet war. Er wusste, mit solcher Geringschätzung sprach nur ein Mächtiger, und es machte ihn stolz, dass er an dessen Seite stand.
»›Uns‹ sagt der Knabe? Und du nennst ihn ›mein Sohn‹?« Das eine Auge fixierte Hagen; der Alte schien verwirrt.
»Wir sind einen Geistes, Ase. Der Junge ist der Prinz der Swart-alfar, wenn auch nicht von meinem Blut, so doch von meinem Geist.«
»Ja«, wollte Hagen einwerfen, »Als wir in die Höhle kamen, da …«
»Seine Freunde und er haben sich zerstritten; die kleinen Kröten haben Hagen hier im Stich gelassen, als es zu – na, sagen wir – Missverständnissen mit meinen Kriegern kam«, fiel Alberich ihm ins Wort.
Der Junge begriff; der Alte sollte nichts von dem Ring wissen. Es war zu vermuten, dass Siggi seinen Schatz weiter vor allen verborgen hielt. Und darauf spekulierte wohl auch Alberich.
»Wie dem auch sei«, sagte Odin, wohl mehr zu sich selbst, um sich dann wieder an den König der Schwarzalben zu wenden: »Ich komme, um Eure Hilfe zu erbitten.«
»Siehst du, mein Sohn«, höhnte Alberich. »Das meinte ich. Immer wenn einer der Asen Schwierigkeiten hat, kommt er, um sich an Ymirs Brut zu wenden, die sie sonst als niederes Volk verachten. Was ist es diesmal, Walvater?« Die Augen des Herrn der Swart-alfar schienen vor Spott zu sprühen, und um seine Lippen hing ein spöttisches Lächeln.
Erst jetzt, als Odin das Bündel hob, das er in den Händen hielt, fiel Hagen auf, dass der Alte offensichtlich etwas mitgebracht hatte. Es war ein längliches Objekt, das in ein dunkles Tuch gewickelt war. Das Gesicht des Grauen ließ nicht erkennen, wie er Alberichs Worte aufgenommen hatte; aber was Hagen in der Miene des Alten sehen konnte, war eine schmerzliche Erinnerung und eine wilde Hoffnung.
»Höre, Alberich!« Die Stimme Odins nahm einen feierlichen Klang an.
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