Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kinder der Nibelungen (German Edition)

Die Kinder der Nibelungen (German Edition)

Titel: Die Kinder der Nibelungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
Vom Netzwerk:
»Ich bin hinabgestiegen zu vergessenen Stätten und Orten, die selbst aus deiner Erinnerung längst getilgt sind. Mein Weg war lang und gefährlich. An einem dieser Orte verwahrte ich etwas, das einst das Symbol meiner Macht war. Das Schicksal hat es zerstört, doch nun naht die Zeit, da die Nornen mir vielleicht eine Möglichkeit geben, die Geschichte zu wenden.«
    »Hört, hört«, spottete Alberich. »Und was habe ich dabei zu tun? Ich, der ich nicht würdig bin, deine Stiefel zu lecken …«
    Odin schien Alberichs beißenden Hohn zu überhören und verzog keine Miene.
    »Das hier«, und mit diesen Worten schlug Odin das Tuch zurück, »ist der Speer des Schicksals, Symbol meiner Macht. Einst wurde er zerschlagen, doch nun ist die Zeit gekommen, ihn wieder zusammenzufügen.«
    Hagen konnte sehen, wie Odin die Bruchstücke hochhielt. Die Spitze war aus Metall gefertigt, der Schaftstücke aber bestanden aus einem dunklem Material, das fast schwarz war und wie Eisen schimmerte, doch konnte man im Licht deutlich eine holzartige Maserung erkennen. In die Stücke waren Zeichen eingeritzt, seltsam eckige Buchstaben, bräunlich rot wie von altem, eingetrockneten Blut. Sie erinnerten Hagen an die Kratzspuren, die er am Brunnen entdeckt hatte. Mîmirs Brunnen. Damit hatte alles angefangen …
    »Und was gibst du mir dafür?«, fragte Alberich. »Was ist mein Lohn, wenn ich dir helfe?«
    Der Spott war aus seiner Stimme gewichen, und Hagen konnte nicht sagen, ob der Anblick des Speers oder die Aussicht auf eine Belohnung der Grund dafür war. Er verstand zu wenig von dem, was der Alte und sein neugewonnener Vater zu besprechen hatten; darum schwieg er lieber.
    »Ich biete dir ein wertvolles Kleinod«, bei diesen Worten krampfte sich Hagens Herz zusammen, und er stellte sich die Frage, ob Odin, damit den Ring meinte, »das Einzige, was noch aus jenem Hort verblieben ist, um den sich Götter und Menschen entzweiten.
    Ist der Ring auch verloren«, fuhr er fort, und Hagen schluckte unmerklich, »so ist doch eines geblieben, an dem kein Fluch hängt: Brisingamen, das Halsband der Freya.«
    Hagen atmete auf. So wusste der Einäugige also nichts von dem Ring, den er aus dem Brunnen geholt und den Siggi ihm gestohlen hatte. Wie gut, dass sie dem Alten nie davon erzählt hatten!
    »Ein trefflicher Lohn für diese Arbeit«, entgegnete der König der Swart-alfar, »aber ich befürchte, ich kann ihn mir nicht verdienen, Einauge …«
    »Warum nicht?«, unterbrach ihn Odin. »Wieso kannst du den Speer nicht neu schmieden? Du bist ein Meister dieser Kunst.«
    »Weil es nicht geht«, war Alberichs lapidare Antwort.
    »O doch, es geht«, verkündete Odin. »Das Holz der Weltenesche Yggdrasil ist zwar unendlich hart, aber die Feuer Muspelheims sind heiß genug, dass sich die beiden Hälften wieder zu einem Ganzen vereinen. Der Speer kann neu geschmiedet werden!«
    Odin hatte hitzig gesprochen, seine Stimme hatte einen Hall gewonnen, dessen Echo nur langsam verebbte. Sein heiles Auge flammte förmlich; die Erschöpfung, die Hagen erst im Blick und an der Haltung Odins bemerkt hatte, war wie weggeblasen. Mit der Rechten streckte die Bruchstücke des Speers in die Höhe.
    »Muspelheims Feuer«, sprach Alberich ungerührt, als diskutiere er ein rein technisches Problem, »würden es erhitzen, vielleicht sogar heiß genug machen, aber selbst dann könnte ich die Stücke nicht wieder verbinden. Die Macht der Weltenesche, aus deren Urstoff er stammt, geht über meine Kräfte, Einauge. Ich bin stark, aber nicht stark genug. Das solltest du wissen.«
    »Ein neues Zeitalter könnte beginnen, wenn ich meine Macht wiedererlange!« Die Worte Odins klangen wie ein Schlachtruf. »Eine neue Zeit für Alben und Zwerge, in der wir uns die Welt erobern.«
    »Die Zeit der zaubermächtigen Waffen ist vorbei«, hielt Alberich ihm entgegen. »Keiner der Götter ist noch mächtig genug, diesen Speer neu zu schmieden. Hast du vergessen, Einauge, dass mehr dazu gehört, als die Enden in die Feuer Muspelheims zu tunken und zu hoffen, alles werde gut. Es gehört etwas dazu, das nur Götter und große Helden haben, jenes Quäntchen Kraft, das sie in ihren Herzen tragen und auf so unterschiedliche Weise zu nutzen verstehen. Die einen, um die Geschicke ganzer Welten zu lenken, die anderen, um große Taten zu vollbringen. Aber eines, Einauge, eines haben sie gemeinsam, diesen Kern der reinen Kraft, den sie in sich tragen. Deiner ist zerschlagen, die Kräfte deines Volkes

Weitere Kostenlose Bücher