Die Kinder der Nibelungen (German Edition)
Eine plötzliche Druckwelle riss sie von den Füßen. Direkt hinter ihnen an der Weggabelung zersprang der Fels wie Glas.
Als sie sich aufrappelten, sah Siggi das Unfassbare, und er erstarrte. Wie gebannt blickte er zurück zu der Stelle, wo der Fels geborsten war.
Aus der Felswand quoll etwas, das Siggi zunächst für etwas Lebendiges hielt, wie eine riesige Amöbe, einen sich windenden Einzeller von der Größe eines Dinosauriers.
Es war schwarz, Feuerlanzen schössen daraus hervor, ätzender, schwarzer Qualm war die Folge.
»Die Elemente …«, entfuhr es Laurion. »Feuer, Wasser, Luft und Erde.«
Jetzt erkannte Siggi, was es war. Es war so widersinnig, dass er sich weigerte zu glauben, was er mit eigenen Augen sah. In Drudgelmir vereinigten sich die vier Elemente: Erde mit Wasser gemischt, ergab diese schwarze Masse, aber dieser Schlamm brannte, stieß Feuerlanzen und Rauch hervor.
Ihr Gang führte leicht bergauf, aber das schien das Monster überhaupt nicht zu beeindrucken. Es kroch durch die Bresche, bis es den Gang völlig ausfüllte, und kam langsam und unaufhaltsam wie eine Lawine auf sie zu.
Yngwe riss Siggi und Gunhild aus ihrer Erstarrung. »Nur weg hier!« Der Schrecken in seiner Stimme war kaum zu überhören.
»Kommt!«, rief Laurion.
Sie rannten los.
Konnten sie es schaffen, dieser Lawine zu entkommen? War das überhaupt möglich? Siggi glaubte nicht daran, aber etwas hielt ihn auf den Beinen. Der Hammer und der Ring, das waren die Quellen seiner Kraft, die ihn weiter vorwärts trieben, Laurion dicht auf den Fersen.
War der Krach des Felsens schon nervenzerfetzend gewesen, war das, aus Drudgelmir hervorkam, noch eine Steigerung. Schmatzendes Saugen war der Grundton, die Flammenzungen klangen wie das Zischen einer Schlange, und alles zusammen bildete den Satz einer Sinfonie des Todes.
Dann erreichte sie der Gestank. Es war eine Mischung aus allem, was schrecklich roch und Übelkeit erregte. Verwesung, Fäulnis, Tod; all das vereinte sich in Drudgelmir und seinen Ausdünstungen. Es war, als wehe ihnen der Pesthauch von Ymirs verwesendem Leib direkt ins Gesicht. Es war der Odem des Verderbens.
Sie folgten dem Gang, der immer noch anstieg, aber das Monster, das den Gang hinter ihnen ausfüllte, ließ sich dadurch nicht aufhalten. Es folgte ihnen, wie ein Jäger, der seine Beute in die Enge treibt.
Den Tod, der ihnen die Felsen oder eine Falltür gebracht hätte, war kurz und wohl eher schmerzlos, aber welche Schrecken mochte sie erwarten, wenn sie von diesem Wesen aus brodelnden Schlamm und dieser Lawine von Felsen, Flammen und Gasen aufgesogen und verschlungen wurden?
Das Nächste, was sie erreichte, war der schwarze Qualm, der sie zum Husten reizte, in die Augen drang. Tränen quollen als Antwort hervor. Auch auf der Zunge machte sich ein widerlicher Geschmack breit, der einen zum Würgen brachte.
Sie kamen nur noch langsam voran. Zugleich rutschte Ymirs Todesquell näher und näher. Der Krach nahm infernalische Ausmaße an. Der zähe Qualm hüllte sie ein wie ein schwarzes Leichentuch.
Laurion gelang es irgendwie, sie halb blind durch den Gang zu führen, ohne dabei in eine Falle zu tappen. Aber wie lange konnte das noch gut gehen? Und war es nicht vielleicht besser, sich von einer Felsnadel schnell töten zu lassen, als in dem namenlosen, schmatzenden, fauchenden und ihnen unerbittlichen folgenden Schrecken zu versinken?
Niemals!, rief es in Siggi. Noch bin ich am Leben.
Sie waren nicht so weit gekommen, um hier und jetzt aufzugeben und sich in ihr Schicksal zu fügen. Also blieben sie auf den Füßen, husteten, schnauften, wischten sich die Tränen aus den Augen, und Laurions anscheinend unfehlbarer Instinkt führte sie um jedweden todbringenden Fallstrick, den die Swart-alfar in den Gängen versteckt haben mochten.
Und immer weiter ging die Hatz. Keiner von ihnen warf mehr einen Blick zurück, um zu sehen, wie nahe ihnen ihr Jäger schon gekommen war. Manchmal glaubte Siggi, die hervorzuckenden Flammenzungen mussten sie bald treffen, aber noch war es nicht so weit, und so quälten sie sich weiter vorwärts. Siggis Kehle brannte, der schwarze Qualm folterte seine Lungen. Immer öfter musste er husten, feurige Kreise wirbelten vor seinen Augen. Er konnte seine Gefährten kaum mehr erkennen, doch er lief weiter.
Gunhild war wie betäubt von den Dämpfen, die allgegenwärtig zu sein schienen. Sie taumelte, doch eine starke Hand riss sie wieder hoch.
»Weiter!«, keuchte Yngwe. Die
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