Die Kinder des Dschinn. Das dunkle Erbe der Inka
geistige Beschränktheit. Es ist fast so schlimm, wie gar keine Großbuchstaben zu verwenden. Auch wenn es natürlich einige Alphabete gibt, die gar keine Großbuchstaben kennen. Das Hebräische zum Beispiel.«
»Manchmal malt sie Herzen statt Kreise. Als wäre sie in jemanden verliebt.«
»Tut sie das?«, sagte Nimrod nachdenklich. »Vielleicht ist das ein weiteres Indiz dafür, dass sie hypnotisiert wurde.«
»Was willst du Macreeby denn schreiben?«
»Nur, dass wir alle tot sind, außer Zadie. Etwas, das ihn absolut in Sicherheit wiegt. Und dass er Zadie jetzt genau sagen soll, wo er ist, damit sie zu ihnen stoßen kann.«
John grinste, und während Nimrod die Botschaft schrieb, versuchte er nicht daran zu denken, dass sich seine Schwester, Groanin, Miesito und Muddy – und möglicherweise auch Zadie selbst – in den Händen der Xuanaci-Indios befanden. Um sich bei Laune zu halten, begann er zu pfeifen. Die gleiche eingängige Weise, die er vor ein paar Minuten gehört hatte.
Ohne mit dem Schreiben aufzuhören, sagte Nimrod missbilligend: »Mein lieber junger Freund. Hat Miesito dir nicht gesagt, dass man im Regenwald niemals pfeifen darf? Es heißt, wenn man jemals in die Melodie von
El Tunchi
einstimmt und die gleiche Weise mitpfeift, wird einem
El Tunchi
erscheinen und auf die schrecklichste Art und Weise mit einem spielen.«
John schluckte. »Wer oder was ist
El Tunchi
?«
»Ein Geist, der den Wald beschützt«, sagte Nimrod. »Ein gemeiner, bösartiger Geist. Eine Art Poltergeist, nehme ich an. Nur viel, viel schlimmer. So hat man es mir jedenfalls erzählt. Also sei vorsichtig, John, ja?« Nimrod hob den Kopf. »John?«
Aber John war verschwunden.
D ie R ückkehr der E roberer
Groanin hatte recht gehabt, als er sagte, Francisco Pizarro sei mit seiner ganzen Armee wieder zum Leben erwacht.
Durch Zadies unbesonnenen Wunsch drängten sich in der Höhle, in der die kleine Schar aus Philippa, Groanin, Zadie, Miesito und Muddy nach ihrer Flucht vor den Xuanaci Zuflucht gesucht hatte, nun einhundertachtundsechzig Waffenknechte, zweiundsechzig Pferde und mehrere katholische Priester. Das entsprach exakt der Anzahl von Männern und Pferden (und Priestern), mit denen Pizarro im September 1532 die Inka unterworfen hatte.
Die Spanier schienen kein Licht zu brauchen. Sie arbeiteten im Dunkeln, weil sie aus dem Dunkel gekommen waren. Und sie schienen entschlossen zu sein, auch den zweiten Teil von Zadies Wunsch auszuführen und den Xuanaci eine Lektion zu erteilen. Und da es nur eine Art von Lektion gab, die diese raubeinigen Soldaten jemals irgendjemandem hatten erteilen können, schärften sie nun ihre Schwerter und zogen die Schnallen ihrer Rüstungen enger, in der Absicht, das brutale Gemetzel, das die Eroberung der Inka gewesen war, zu wiederholen. Nur dass es diesmal die Xuanaci sein würden, die über die Klinge sprangen. Niemand hatte den geringsten Zweifel, dass dies derAusgang der Geschichte sein würde. Pizarros kleines Soldatenpack hatte ohne Probleme eine Armee von einhunderttausend Inka unterworfen, warum sollte es ein paar Hundert Xuanaci da besser ergehen?
»Wir müssen sie aufhalten«, sagte Philippa zu Zadie. »Die armen Xuanaci haben gegen dieses Mörderpack nicht die geringste Chance. Sie werden abgeschlachtet werden wie die Inka.«
Zadie lachte schnaubend. »Die
armen
Xuanaci?«, sagte sie ungläubig. »Hallo? Die armen Xuanaci, wie du sie nennst, wollten uns an die Piranhas verfüttern. Die Xuanaci haben Miesito bei lebendigem Leib den Kopf geschrumpft.« Sie sah Miesito an, als suche sie seine Unterstützung. »Sagen Sie’s ihr, Miesito. Sagen Sie ihr, wie Sie die Xuanaci finden.«
Miesito kratzte sich den kleinen Kopf, an dem die Xuanaci zweifellos ganze Arbeit geleistet hatten. »Mies«, sagte er. »Was sie mit armem Miesito gemacht haben, war mies.« Doch er war kein rachsüchtiger Mensch. Und jetzt, wo er darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass der Kampf zwischen den schwer bewaffneten Spaniern und den halb nackten Indios eine höchst ungleiche Angelegenheit werden würde. »Xuanaci sind wild und kriegerisch, das stimmt. Aber das waren Jivaro auch. Und vor ihnen Prozuanaci. Alle Indios im Amazonasgebiet sind irgendwie wild und grimmig. Aber Xuanaci sind bloß einfache Leute. Haben es nicht verdient, von Konquistadorenbande massakriert zu werden wie Inka. Sie müssen mit Señor Pizarro reden, Miss Zadie, ihn überreden, Xuanaci in Ruhe zu lassen.«
»Das werde ich
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