Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra
verkleinern.«
»Die Teetasse«, schlug der Guru vor und stellte die Tasse mit dem Unterteller auf Philippas Nachtschränkchen.
»Ja, wenn Sie wollen. Nur, bitte, stellen Sie sie nicht neben meinen Kopf. Manchmal sind Dschinnkräfte am Anfang ein bisschen unberechenbar. Mitunter sogar explosiv.«
Der Guru platzierte die Tasse auf einen Rollwagen und starrte sie unentwegt an.
»Und jetzt denken Sie daran, wie Ihre Vorstellung von der verschwundenen Teetasse mit der Wirklichkeit verknüpft ist«, erklärte Philippa, die einfach wiederholte, was Nimrod ihr und John gesagt hatte, als sie ihre Kräfte zum ersten Mal ausprobiert hatten. »Wenn Sie verstanden haben, dass die Logik alle Möglichkeiten in sich birgt, dann sagen Sie Ihr Fokuswort. Darauf müssen Sie sich konzentrieren.«
»Also«, sagte der Guru. »Wenn ich die Tasse verschwinden lassen will, muss ich nichts weiter tun, als mir im Geiste vorzustellen, sie sei nicht da. Und dann sage ich mein Wort. Stimmt das?«
»Was denkbar ist, ist auch möglich«, antwortete Philippa.
Der Guru lächelte. »Allmählich fängst du an, wie ich zu klingen«, stellte er fest.
»Ja«, sagte Dybbuk. »Bescheuert.«
»Stör mich nicht in meiner Konzentration«, sagte der Guru. »Sonst wirst du tiefgefroren, wie eure beiden Freunde.«
Er deutete auf Nimrod und Mr Rakshasas, die in einer Art kryogenischem Wartezustand auf ihren Betten lagen wie Gestalten in einem antiken Mausoleum. Ein kalter Nebel umwirbelte sie, sodass man fast hätte meinen können, sie seien gerade einer Lampe oder einer Flasche entstiegen.
Mit tief gerunzelter Stirn konzentrierte sich der Guru eine geschlagene Minute lang auf die Tasse und den Unterteller, ehe er sein Wort aussprach. Für die Kinder klang es wie FENIMOREWACHSPLUMPERTON. (Vielleicht gibt es ein richtiges Wort, das sich anhört wie FENIMOREWACHSPLUMPERTON, aber selbst wenn, steht es mit Sicherheit nicht im Oxford-Englisch-Wörterbuch und auch nicht im Oxford-Hindi-Wörterbuch.) Zur Überraschung aller, von den Kindern vielleicht abgesehen, zersprangen Tasse und Unterteller in mehrere Stücke.
Der Guru lachte vor Freude und schien überhaupt nicht zu merken, dass er vor lauter Anstrengung, seinen Willen auf die Tasse zu konzentrieren, einen knallroten Kopf bekommen hatte, ganz zu schweigen davon, dass der Tee jetzt auf dem ganzen Boden verschüttet war. Außerdem schwitzte er stark und sah aus wie ein Mann, der einen Marathon hinter sich hatte.
»Hast du das gesehen?«, schrie er Jagannatha an, der immer noch staunend dreinblickte. »Hast du das gesehen? Das war ich. Ich habe sie aus eigener Kraft zerstört.«
»Das war ein guter erster Versuch«, sagte Philippa. »Sie haben die Molekularstruktur der Tasse sichtbar beschleunigt. Das war deutlich zu erkennen. Es scheint mir nur, dass Sie sich noch eine klarere Vorstellung vom Nichts machen müssen, wenn Sie etwas richtig verschwinden lassen wollen.«
»Puh! Das ist die reinste Schwerarbeit.« Der Guru wischte sich die Stirn.
»Ja, am Anfang schon«, sagte Philippa. »Aber es ist wie mit der körperlichen Fitness. Sie müssen lernen, den Teil Ihres Gehirns zu entwickeln, in dem Ihre Kräfte sitzen. Wir Dschinn nennen diesen Teil
Neshamah
. Es ist die Quelle der Dschinnkräfte. Das sanfte Feuer, das wie die Flamme einer Öllampe in uns brennt.« Philippa schüttelte den Kopf. »Aber bei Ihnen kann ich nicht genau sagen, ob Sie eine Neshamah haben oder nicht. Sie sind nicht wie wir.«
»Du meinst wohl, ich bin nicht so
gut
wie ihr«, sagte der Guru. »Na, ich werde dir schon sanftes Feuer zeigen, junge Dame.« Er deutete auf seinen Mantel, der jetzt auf dem Boden des Laboratoriums lag. »Schau ihn dir genau an.«
Der Guru wandte sich dem Kojotenfellmantel zu und fixierte ihn mit wildem Blick, die Augen weit aufgerissen und die Brauen gefurcht wie ein frisch gepflügter Acker. Er zitterte sichtlich und atmete laut durch die Nase, wie ein Stier, der im Begriff ist, auf das Tuch eines Toreros loszugehen. Schweiß tropfte ihm von der Nase, den Ohrläppchen und aus dem Bart und ein Hitzeschleier umgab ihn wie eine Luftspiegelung, die in der Wüste flimmert.
»Diesmal wirst du erleben, wie ich vor deinen Augen etwas verschwinden lasse«, flüsterte er. »Wart es nur ab.«
Der konzentrierte Blick des Gurus war Furcht erregend. Fast eine ganze Minute verging und Philippa hatte den Eindruck, als sei er so sehr darauf fixiert, etwas verschwinden zu lassen, dass er um sich herum fast nichts
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