Die Kinder des Dschinn. Der Spion im Himalaya
keine Probleme bekommen. Am schlimmsten aber war, dass Groanin, dessen Augen immer größer waren als sein Appetit, viel zu viele Würstchen briet und einige wegwerfen musste, wobei er annahm, dass einige hungrige Vögel sich darüber freuen würden. Kurz gesagt, beging Groanin so gut wie jeden Fehler, den man überhaupt begehen konnte, darunter auch jenen, seine Bratpfanne nach dem Gebrauch nicht auszuwaschen. Abgesehen von einer handgeschöpften und mit Goldrand versehenen Einladungskarte zum Picknick gab es kaum etwas, was er noch hätte tun können, um sicherzugehen, dass er ungebetenen nächtlichen Besuch bekam.
Nicht lange nachdem er sein Abendessen beendet hatte, begann es heftig zu schneien.
»Das hat mir gerade noch gefehlt«, murmelte er. »Als wäre es hier nicht schon ungemütlich genug. Hoffentlich hat sich der Knabe für diesen Ausflug gut ausgestattet. Bei den Temperaturen bestehen kaum Aussichten, dass seine Dschinnkräfte funktionieren.«
Groanin ging in sein Zelt, und da es schrecklich kalt war, schlüpfte er mitsamt seinem Mantel in den Schlafsack. Er drehte die Lampe an und versuchte ein wenig
David Copperfield
zu lesen, bevor er einschlief. Genauer gesagt, las er ein wenig
David Copperfield
, damit er recht bald einschlief. Manche Leute nehmen Schlaftabletten, andere trinken heiße Schokolade, und wieder andere zählen Schafe. Groanin las immer
David Copperfield
. Er benutzte das Buch seit vielen Jahren als Einschlafhilfe, und es hatte immer gewirkt, was zur Folge hatte, dass er noch nie über das neunte Kapitel hinausgekommen war, in dem David einen denkwürdigen Geburtstag erlebt. Vielleicht hätte diese Stelle Groanin sonst daran erinnert, dass er selbst an diesem Tag Geburtstag hatte, und wenn er nach dem Absturz auf dem Boden der zerschellten Vorratskiste ein wenig gründlicher nachgesehen hätte, dann hätte er den Geburtstagskuchen und die Karte entdeckt, die der umsichtige Nimrod ihm mit auf die Reise gegeben hatte. Der Schnorchel und die Taucherflossen, die Groanin erbost weggeworfen hatte, waren Nimrods Geburtstagsgeschenk für ihn und das Preisschild in Wirklichkeit ein Geschenkanhänger gewesen.
Aber auch ohne Geburtstagskarte, Kuchen und Geschenk war Groanin im Begriff, ebenfalls einen denkwürdigen Geburtstag zu erleben.
David Copperfield
fiel ihm aus der Hand, als er die zweite Seite des neunten Kapitels etwa zur Hälfte gelesen hatte, und mit einem schläfrigen Gähnen streckte er die Hand aus, um das Licht auszumachen. Doch ehe er gemütlich in den Schlaf hinüberdämmern konnte, hörte er draußen vor dem Zelt ein kurzes dumpfes Knurren.
Der Butler riss die Augen auf und griff langsam nach dem Gewehr, das im schwach beleuchteten Zelt gerade noch zu sehen war.
Bedächtig setzte er sich auf, legte sich das Gewehr in den Schoß und horchte aufmerksam. Draußen vor dem Zelt bewegte sich etwas durch den Schnee. Etwas Großes. Groanin schluckte schwer und versuchte Ruhe zu bewahren, selbst als etwas am Zeltboden zerrte.
»Teufel auch«, flüsterte er. »Das muss ein Bär sein.«
Groanin brachte das Gewehr in Anschlag und machte sich bereit abzudrücken. Er ließ sich auch nicht beirren, als ein langer, kräftiger, über und über mit Haaren bedeckter
affenartiger
Arm von unten ins Zelt langte und eine fast
menschlich wirkende
Hand über den Zeltboden zu tasten begann. Groanin wusste rein gar nichts über Bären, außer dass sie gefährlich waren; aber selbst er konnte sehen, dass dies kein Bär war, sondern etwas noch viel Schrecklicheres, Rätselhafteres und vielleicht auch Selteneres.
»Teufel auch!«, murmelte er. »Das muss ein Bigfoot sein.«
Der verängstigte Butler scherte sich weder um das Rätsel noch um den Seltenheitswert des Bigfoot; er legte das Gewehr an, richtete den Lauf auf die Zeltwand und drückte ab. Nichts geschah. Und zwar deshalb nicht, weil Groanin vergessen hatte, die Waffe zu entsichern. Das war ein Glück für das Geschöpf – was immer es auch sein mochte –, das seinen zudringlichen Arm inGroanins Zelt gesteckt hatte. Der arme Butler hingegen wurde halb verrückt vor Angst, als er ein weiteres Mal abdrückte und das Gewehr abermals den Dienst verweigerte.
Mit lautem Angstgebrüll stolperte Groanin aus dem Zelt und lief davon, was wiederum ausreichte, um das scheue menschenartige Geschöpf zu vertreiben. Im hellen Mondlicht sah der Butler eine große, zottelige und vage an einen Affen erinnernde Gestalt in die Dunkelheit flüchten und
Weitere Kostenlose Bücher