Die Kinder des Kapitän Grant
Höhe aufspringen ließ.
»Es sind da Sandbänke, sagte er zu Austin.
– Das ist auch meine Ansicht, antwortete der Steuermann.
– Wir sind in Gottes Hand, fuhr John fort. Will Er dem Duncan keinen irgendwie fahrbaren Ausweg weisen, und ihn nicht selbst führen, so sind wir verloren.
– Die Fluth ist in diesem Augenblicke auf der Höhe, Kapitän, vielleicht können wir über diese Sankbänke hinauskommen.
– Aber was meinen Sie, Austin, dieser Aufruhr der Wogen. Wie könnte ein Schiff ihm widerstehen? Flehen wir um Gottes Beistand.«
Inzwischen näherte sich der Duncan mit Hilfe seines Sturmsocks der Küste mit einer erschrecklichen Schnelligkeit. Schon waren es bald nur noch zwei Meilen bis zu den Sandbänken. Jeden Augenblick verdeckten die Nebel das Land auf’s Neue. Nichtsdestoweniger glaubte John jenseits des schäumenden Gürtels ein ruhigeres Bassin wahrzunehmen. War man einmal dort, so befand sich der Duncan verhältnißmäßig sicher. Aber wie dahin durchkommen?
John ließ jetzt seine Passagiere auf’s Verdeck kommen. Er wollte nicht, daß sie, wenn wirklich die Stunde des Schiffbruches gekommen sei, in der Kajüte eingeschlossen wären. Glenarvan und seine Gefährten betrachteten das fürchterliche Meer. Mary Grant erblaßte.
»John, begann Glenarvan leise zu dem jungen Kapitän, ich meinerseits will versuchen meine Frau zu retten, wenn es nicht möglich, mit ihr untergehen. Nehmen Sie sich der Miß Grant an.
– Ja, Ew. Herrlichkeit«, antwortete John Mangles, und führte die Hand des Lords an seine feuchten Augen.
Der Duncan war jetzt nur noch einige Faden weit vom Fuße der Bänke entfernt.
Das Meer, gerade sehr hoch, hätte zweifellos genug Wasser unter dem Kiel der Yacht gelassen und ihr den Durchbruch der gefährlichen Sandbänke schon gestattet; aber damals mußte die Höhe der Wogen, das abwechselnde Steigen und Fallen, den Kiel unfehlbar auf den Grund stoßen lassen. Gab es nicht ein Mittel, die Bewegungen der Wellen zu besänftigen, das Gleiten ihrer flüssigen Elementartheile zu erleichtern, mit einem Worte, das stürmische Meer zu beruhigen?
Zuletzt kam John Mangles noch auf eine Idee.
»Oel! rief er, Kinder einen Strahl von Oel«, wiederholte er.
Augenblicklich verstand die gesammte Mannschaft diese Worte.
Es handelte sich darum, ein Mittel anzuwenden, das allerdings bisweilen glückte. Man konnte nämlich die aufgeregte Fluth dadurch besänftigen, daß man sie mit einer Oelschicht bedeckte, diese Schicht bleibt dann oben schwimmen, und wirkt dem Stoß der Wogen, die es schlüpfrig macht, entgegen. Die Wirkung folgt unmittelbar, aber sie dauert nicht an. Und sobald ein Schiff über diese Schicht hinaus ist, verdoppelt das Meer seine Wuth, und wehe dann dem, der sich danach noch hineinwagen sollte. 4
Hinauf zur Mühle. (S. 311.)
Die Tönnchen mit dem Vorrath von Seehundsöl wurden jetzt durch die Mannschaft, deren Kräfte inmitten der Gefahr hundertfach gesteigert waren, auf das Vorderdeck gezogen, mit dem Beil aufgeschlagen und an das Geländer des Steuer-und Backbords aufgehängt.
»Nun gebt Achtung!« rief John Mangles, der auf den richtigen Moment lauerte.
Es war ein Mann von fünfundvierzig Jahren. (S. 316.)
In zwanzig Secunden erreichte die Yacht den durch die brausende Springfluth versperrten Durchgang. Jetzt war der Augenblick da.
»Gott sei mit uns!« rief der junge Kapitän.
Die Tonnen wurden umgewendet, und so ergoß sich denn aus ihnen die ölige Fluth. Augenblicklich wurde die schäumende Oberfläche von der Oelschicht überströmt. Der Duncan glitt rasch über die beruhigten Wogen, und befand sich bald in einem ruhigen Becken jenseits der gefährlichen Bänke, während der Ocean hinter ihm mit unbeschreiblicher Wuth tobte.
Fußnoten
1 Es sind dies die Winde, welche im Indischen Ocean mit einer außerordentlichen Heftigkeit auftreten. Ihre Richtung bleibt sich nicht gleich; sie ändert je nach den Jahreszeiten und die Sommer-Winde sind im Allgemeinen von der entgegengesetzten der des Winters.
2 Das sind 73,09 Centimeter. Die normale Höhe der Barometersäule ist 76,0 Centimeter.
3 Man versteht darunter Gläser, die eine chemische Mischung enthalten, welche je nach der Windrichtung und der elektrischen Spannung der Atmosphäre ihr Aussehen ändert.
4 Die Seegesetze verbieten daher auch dem Kapitän die Anwendung dieses verzweifelten Mittels für den Fall, daß ein zweites Schiff nachfolgt und den Durchgang mit benutzen
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