Die Kinder des Kapitän Grant
wollte bis zum achtunddreißigsten keinen Punkt undurchforscht lassen.
Im Laufe des 18. Decembers hielt sich die Yacht, die unter Preßwind wie ein echter Klipper mit vollen Segeln fuhr, nächst dem Gestade der Bai Encounter. Hier langte im Jahre 1828 der Reisende Sturt an, nachdem er den Murray, den größten Fluß des südlichen Australiens, entdeckt hatte. Es waren bereits nicht mehr die grünen Ufer der Känguru-Insel, sondern dürre Hügel, welche mitunter die Einförmigkeit einer niedrigen und ausgezackten Küste unterbrachen, hie und da ein grauer Bergabhang oder sandige Vorgebirge, kurz, die ganze Trockenheit eines polaren Continents.
Während dieser Fahrt hatten die Boote einen sehr angestrengten Dienst, doch klagten die Matrosen nicht. Fast beständig waren sie von Glenarvan, seinem unzertrennlichen Paganel und dem jungen Robert begleitet, die mit eigenen Augen nach jeder Spur der Britannia forschen wollten. Doch gelang es der sorgfältigsten Untersuchung nicht, etwas von einem Schiffbruch zu erfahren. Die Gestade Australiens verhielten sich in der Hinsicht eben so stumm, wie die patagonischen Lande. Doch durfte man so lange, als man nicht den vom Document bezeichneten Punkt erreicht hatte, nicht alle Hoffnung aufgeben. So verfuhr man aus übergroßer Vorsicht, und um nichts dem Zufall anheim zu geben. Während der Nacht lag der Duncan aufgebraßt, um so viel wie möglich an derselben Stelle sich zu halten; bei Tage wurde sodann die Küste sorgfältig untersucht.
So kam man am 20 December dem Cap Bernouilli gegenüber, welches die Bai Lacépède abschließt; fand aber nicht das geringste Strandgut. Aber dieser Mißerfolg bewies nicht das Mindeste gegen den Kapitän der Britannia. In der That, seit zwei Jahren – der Zeit, wo das Unglück vorgefallen war – konnte, ja mußte das Meer die Reste des Dreimasters zerstreuen, von der Klippe wegspülen. Zudem mußten die Eingeborenen, welche Schiffbrüchige wittern, wie ein Geier das Aas, die kleinsten Trümmerreste weggenommen haben. Hernach wären Harry Grant und seine beiden Gefährten im Moment, als die Wellen sie an’s Land warfen, zu Gefangenen gemacht und ohne Zweifel in das Innere des Festlandes geschleppt worden.
Damit fiel aber eine der sinnreichen Voraussetzungen Jacques Paganel’s zusammen. So lange von argentinischem Gebiet die Rede war, konnte der Geograph mit vollem Recht annehmen, die Ziffern des Documentes bezögen sich nicht auf die Stelle des Schiffbruchs, sondern auf den Ort der Gefangenschaft. Da waren in der That die großen Ströme des Pampa-Landes, ihre zahlreichen Zuflüsse, um das werthvolle Document dem Meere zuzuführen. Hier dagegen, in diesem Theile Australiens, haben die fließenden Gewässer, welche den siebenunddreißigsten Breitengrad durchschneiden, keine überreichliche Strömung; ferner der Rio Colorado, der Rio Negro, fließen durch menschenleere, unbewohnbare und unbewohnte Landstriche dem Meere zu, während die Hauptströme Australiens, der Murray, die Yarra, der Torrens, der Darling, entweder in einander überfließen, oder sich durch Mündungen in’s Meer ergießen, welche viel besuchte Rheden geworden sind, Häfen mit lebhafter Schifffahrt. War es nun wahrscheinlich, daß eine zerbrechliche Flasche diese unaufhörlich befahrenen Gewässer hinab ihren Weg in den Indischen Ocean gefunden habe.
Diese Unwahrscheinlichkeit mußte scharfblickenden Geistern in die Augen springen. Paganel’s Annahme, die in Patagonien, in den argentinischen Provinzen vieles für sich hatte, mußte in Australien zu einem Fehlschluß führen. Paganel erkannte dies in einer Besprechung an, welche der Major Mac Nabbs über diesen Gegenstand in Anregung gebracht hatte. Es stellte sich klar heraus, daß die im Document erwähnten Grade sich nicht auf den Ort des Schiffbruchs bezogen, daß folglich die Flasche an der Stelle, wo die Britannia scheiterte, an der Westküste Australiens, in’s Meer geworfen worden war.
Doch war, wie Glenarvan richtig bemerkte, diese definitive Auslegung nicht im Widerspruch mit der Voraussetzung der Gefangenschaft des Kapitän Grant. Dieser hatte übrigens in seinem Document durch die beachtenswerthen Worte: »wo sie in Gefangenschaft grausamer Eingeborener gerathen werden«, die Vermuthung herbeigeführt. Aber es war kein Grund mehr vorhanden, um die Gefangenen lieber unter dem siebenunddreißigsten Breitengrade zu suchen, als unter einem andern.
Diese lange Zeit besprochene Frage erhielt so ihre definitive
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