Die Kinder des Kapitän Grant
Wilson erfaßte die Leine des Bleies und schwang sich schnell in die Rüsten des Fockmastes. Von da warf er das Loth aus, die Leine lief durch seine Finger. Bei dem neunten Knoten stand das Blei still.
»Drei Lachter! rief Wilson.
– Kapitän, schrie John, indem er zu Will Halley lief, wir sind auf den Klippen.«
Sah er nun Halley die Schultern zucken oder nicht, genug er stürzte nach dem Steuerruder und drückte den Helmstock nieder, während Wilson das Blei los ließ, um die Brassen des großen Marssegels aufzuziehen und so das Schiff vor den Wind zu drehen. Der Matrose, welcher steuerte, wurde gewaltig zurückgestoßen, ohne sich diesen plötzlichen Angriff erklären zu können.
»Vor den Wind! Vieren, Vieren!« rief der junge Kapitän, während er sich anstrengte, das Schiff von den Rissen loszumachen.
Während einer halben Minute verlängerte sich die Windvierung des Steuerbords, und trotz der Dunkelheit der Nacht bemerkte John eine tosende Wogenlinie, welche, zwei Lachter vom Schiffe entfernt, sich in weißem Streife dahinzog.
In diesem Augenblicke wurde Will Halley die ganze drohende Gefahr klar, er verlor den Kopf. Seine unzusammenhängenden Worte, seine sich widersprechenden Befehle zeugten überdies, daß das kalte Blut diesem stupiden Trunkenbold fehlte. Er war erstaunt über die Nähe des Landes, welches nun auf einmal nur acht Meilen unter dem Winde entfernt war, während er es in einer Entfernung von dreißig bis vierzig vermuthete. Die Strömungen hatten diesen erbärmlichen Menschen, der eben nur Routinier war, ganz aus seiner gewöhnlichen Bahn herausgerissen und unversehens erfaßt.
Indeß das schnelle Manoeuvre John Mangles’ hatte soeben den Macquarie von den Klippen entfernt.
Der Fockmast bricht. (S. 538.)
Aber John kannte gleichwohl seine Position nicht, vielleicht war er in einen förmlichen Riffgürtel hineingedrängt. Der Wind blies voll aus Westen, und bei jeder schwankenden Bewegung konnte man aufrennen. Und in der That, das Getöse der Brandung verdoppelte sich vom Steuerbord aus nach der Spitze zu. Man mußte noch mehr vor den Wind drehen. John ließ die Raaen nach und braßte möglichst scharf.
Die Klippen mehrten sich unter dem Vordersteven der Brigg, und es wurde nöthig, noch mehr vor den Wind zu wenden, um die offene See zu gewinnen. Würde dieses Manoeuvre mit einem Schiff von so schlechtem Gleichgewicht, unter einer theilweise zerrissenen Takelage auch glücken? Das war ungewiß, doch man mußte es versuchen.
»Den Helmstock herunter, ganz!« schrie John Mangles Wilson zu.
Der Macquarie begann sich der neuen Klippenreihe zu nähern. Und bald schäumte das Meer auf, so oft sich seine Wogen an den Felsen brachen.
Das war ein unbeschreiblicher Augenblick der Angst. Der Schaum ließ die Wellen leuchtend erscheinen. Man hätte sagen können, daß ein phosphorescirendes Phänomen sie plötzlich erhellte.
Das Meer grollte und tobte, als ob es die Stimme jener alten Klippen besäße, welche durch die heidnische Mythologie als lebende Wesen dargestellt sind. Wilson und Mulrady, gebeugt unter dem Rade des Steuerruders, drückten mit dem ganzen Gewicht ihres Körpers darauf. Der Helmstock schleifte dahin.
Plötzlich, ein dröhnender Stoß – der Macquarie saß auf einem Felsen fest. Die Spließgangen des Bugspriets brachen und machten so die Haltbarkeit des Fockmastes zweifelhaft. Konnte man die Vierung ohne weiteren Schaden vollenden?
Nein, denn eine kurze Windstille trat plötzlich ein, das Schiff folgte dem Winde. Seine Bewegung hörte auf einmal auf, eine mächtige Woge erfaßte es von unten, trug es vorwärts auf die Risse und dort warf sie es von sich ab mit einer furchtbaren Gewalt.
Der Fockmast mit seinem Takelwerk brach herunter. Die Brigg stieß zweimal mit ihrem Kiele auf und blieb dann unbeweglich und auf der Steuerbordseite um dreißig Grade geneigt, festsitzen.
Die Fenster der Treppenkappe waren in Scherben zertrümmert. Die Passagiere stürzten auf Deck, aber die Wellen fegten gleichsam das Verdeck von einem Ende zum anderen, und deshalb konnten sie sich dort ohne Gefahr nicht aufhalten. John Mangles, welcher wußte, daß das Schiff vollständig im Sande festsaß, bat sie, in ihre Koje zurückzukehren.
»Die Wahrheit, John? fragte kalt Glenarvan.
– Die Wahrheit, Mylord, antwortete John Mangles, ist, daß wir nicht sinken werden. Ob wir zertrümmert werden, das ist freilich eine andere Frage, aber wir haben Zeit, Rath zu schaffen.
– Es ist
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