Die Kinder des Kapitän Grant
Gesicht, noch Brust und Arme, welche mit Oel eingerieben waren, zeigten irgend welche Veränderung.
Die Angehörigen und Freunde näherten sich dem Fuße des Hügels, und mit einem Schlage, so, als ob ein Capellmeister das Zeichen zu einer Trauermusik gegeben hätte, erfüllte ein Monstre-Concert von Weinen, Seufzen und Schluchzen die Lüfte. In klagendem, schleppendem Rhythmus beweinte man den Entseelten. Die nächsten Angehörigen schlugen den Kopf gegen die Erde. Die weiblichen Verwandten zerrissen sich mit den Nägeln das Gesicht, das mehr von Blut, als von Thränen überströmt war. Die unglücklichen Frauen erfüllten gewissenhaft diese barbarische Pflicht.
Doch damit war für die Ruhe der Seele des Verstorbenen noch nicht genug geschehen, deren Zorn den ganzen Stamm unfehlbar getroffen hätte, und da seine Krieger ihn nicht in’s Leben zurückzurufen vermochten, so thaten sie doch Alles, um ihn in jener Welt die Freuden des Erdenlebens nicht vermissen zu lassen. Das Weib Kara-Tété’s durfte ihn auch im Grabe nicht verlassen. Uebrigens hätte die Unglückliche auch darauf verzichtet, ihn zu überleben. In Uebereinstimmung mit der Pflicht war das die geläufige Sitte, und Beispiele ähnlicher Aufopferung sind in der Geschichte Neu-Seelands nicht selten.
Diese Frau trat vor. Sie war noch jung. Die Haare umflatterten unordentlich ihre Schultern. Ihr Schluchzen und Wehgeschrei stieg zum Himmel. Unverständliche Worte, Jammern und abgebrochene Sätze, in denen sie die Tugenden des Todten pries, mischten sich unter ihre Seufzer, und im höchsten Ausbruch des Schmerzes warf sie sich am Fuße der Erhöhung hin und schlug den Boden mit dem Kopfe.
Jetzt näherte sich ihr Kai-Koumou. Plötzlich erhob sich das bedauernswerthe Opfer. Doch ein Schlag mit dem »Mere«, einer Art furchtbarer Keule, welche die Hand des Häuptlings schwang, streckte sie nieder. Wie vom Blitz getroffen, brach sie zusammen.
Sofort erhob sich ein furchtbares Geheul. Hundert Arme erhoben sich drohend gegen die über das schreckliche Schauspiel bestürzten Gefangenen. Doch Keiner wich von seiner Stelle. Die Leichenfeier war noch nicht zu Ende.
Kara-Tété’s Weib hatte sich im Tode mit ihrem Gatten vereint. Die beiden Körper lagen ausgestreckt neben einander. Für das ewige Leben aber war dem Verblichenen die Gattin nicht genug. Wer würde bei Nouï-Atoua Beide bedient haben, wenn ihre Sklaven ihnen nicht in die andere Welt nachfolgten?
Da wurden sechs Unglückliche vor die Leiche ihres Herrn geschleppt. Es waren die Diener, welche nach unerbittlichem Kriegsrecht in Sklaverei gefallen waren. Zu Lebzeiten des Häuptlings hatten sie die härtesten Entbehrungen zu tragen, erlitten tausendmal die schlechteste Behandlung, wurden kaum ernährt, zu den Arbeiten von Lastthieren verdammt und nun mußten sie, nach dem Glauben der Maoris, auch für ewige Zeit in diesem Dienstverhältnisse bleiben.
Die Elenden schienen ergeben in ihr Loos. Sie erschraken nicht über ihr lange vorhergesehenes Opfer. Ihre Hände ohne Fesseln bewiesen, daß sie ohne Widerstand in den Tod gehen würden.
Uebrigens war das ein schneller, der ihnen lange Qualen ersparte. Diese behielt man sich für die Urheber des Mordes vor, welche, in zwanzig Schritt Entfernung stehend, die Augen von diesem scheußlichen Schauspiel, dem noch gräßlichere Scenen folgen sollten, abwandten.
Sechs Schläge mit dem Mere aus den Händen von sechs kräftigen Kriegern streckten die Opfer inmitten einer Blutlache zu Boden.
Hiermit war das Zeichen zu den schrecklichsten Scenen von Cannibalismus gegeben.
Der Leichnam von Sklaven ist nicht wie der der Herren durch den Tabou geschützt. Er gehört dem Stamme, eine den Klageleuten hingeworfene Scheidemünze. Sobald also das Opfer gebracht war, fiel die ganze Masse der Eingeborenen, Häuptlinge, Krieger, Greise, Weiber und Kinder, ohne Unterschied des Alters und Geschlechtes, mit thierischer Wuth über die entseelten Reste der Erschlagenen her. Schneller, als die Feder es beschreiben kann, wurden die noch dampfenden Körper zerrissen, getheilt, ausgeweidet, und nicht in Stücken, nein, in einzelne Bissen, zertheilt. Von zweihundert anwesenden Maoris mußte Jeder seinen Theil Menschenfleisch haben. Man stritt, kämpfte und schlug sich um den geringsten Fetzen. Rothe Tropfen bespritzten die scheußlichen Theilnehmer dieser Mahlzeit, und die ganze kämpfende Horde watete in einem Regen von Blut. Es war der Wahnsinn und die Wuth beutegieriger Tiger.
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