Die Kinder des Ketzers
Saison ihre Töchter zu Markte zu führen und hoffte, Ais mit ein paar guten Angeboten für lukrative Verbindungen wieder zu verlassen. Alle wirkten satt und zufrieden; es war der Dienstag nach Ostern, und selbst der ge32
ringste Diener des Haushalts hatte sich an den Festtagen den Bauch vollschlagen können.
Fabiou kam die Treppe hinunter, als die Mädchen die getäfelte Holztür zum Speisezimmer öffneten. «Morgen, Loís!», schrie er dem jungen Pferdeknecht zu, einem kräftigen, stämmigen Burschen mit dichtem schwarzen Haar und leuchtenden dunklen Augen in dem breiten Gesicht, und der lachte auf und rief: «Morgen, Baroun. Na, habt Ihr ausgeschlafen?» Cristino hätte sonst die Nase gerümpft über den vertraulichen Umgangston, den ihr Bruder mal wieder mit dem Gesinde pflegte, aber heute hätte sie wohl nicht mal die Posaune, die zum jüngsten Gericht ruft, aus ihrem Trübsinn gerissen. Das Speisezimmer war eine der ansehnlicheren Räumlichkeiten auf Castelblanc. Frederi der Ältere hatte vor dreißig Jahren einen unbekannten jungen Maler namens Jehan Cousin dazu gewinnen können, ihm für die lächerliche Summe von hundert Ecu eine Jagdszene auf den Putz zu malen. Der junge Maler, den eine Weibergeschichte in dringende Geldnot gebracht hatte, war nicht in der Situation gewesen, das Angebot abzulehnen. Dieser Umstand hatte den Castelblancs einen beeindruckenden Wandschmuck beschert, der umso wertvoller war, als der junge Maler in der Folgezeit relativ berühmt wurde. Neben dem Salon mit den kunstvoll mit Tier-und Pflanzenmotiven bestickten Wandteppichen, die Frederis Großmutter mit in die Ehe gebracht hatte, war das Speisezimmer somit der einzige Raum, der Besuchern einen Moment des Staunens abzuringen vermochte, und daher Madaleno de Castelblancs ganzer Stolz. Ein Raum, wie man ihn im Schloss eines Ducs finden könnte, nicht wahr, meine Liebe?
Im Augenblick hatte besagtes Zimmer allerdings mehr vom Jahrmarkt zu Ate als den Gemächern eines Ducs . Das Chaos war erschlagend. Die Dame Castelblanc, in ihrem weiten weinroten Reisekleid, das erhitzte Gesicht unter einer fingerdicken Puderschicht verborgen, tänzelte nervös wie eine junge Stute um den langen Tisch im Speisezimmer, während sie die Dienstboten von einer Ecke des Raumes in die nächste scheuchte und ihnen unablässig einander widersprechende Anweisungen zurief, die diese dennoch pflichtschuldig zu erfüllen versuchten. Daneben bemühten 33
sich die Küchenmägde, gleichzeitig die Speisen herbeizutragen, den Herrschaften das Mahl zu bereiten und weiter an den Reisevorbereitungen zu arbeiten. Und über all dem lag das Gequengel von Klein Maria Anno, die bereits gefüttert und in ihre Reisemontur geschnürt war und jetzt gelangweilt auf dem Schoß ihrer Kinderfrau herumturnte, die auf der hölzernen Bank an der Wand hockte und verzweifelt versuchte, das Mädchen zum Stillsitzen zu bewegen. «Bring endlich das Kind zur Ruhe!», schrie die Dame Castelblanc, am Ende ihrer Nervenkraft. Frederi, Cavalié de Castelblanc wirkte von all dem Durcheinander eher unberührt. Er saß an der Kopfseite des Tisches, dem Platz, der traditionell dem Oberhaupt der Familie zustand, den Teller maßvoll mit Fleisch und Pastete gefüllt, das Messer in der einen Hand, ein Stück Brot in der anderen, zu seiner rechten Frederi Jùli, die Zähne in einen Kuchen gegraben. Er sah kurz auf, als Cristino und Catarino eintraten. «Ihr seid spät dran, Mädchen», sagte er, der tadelnde Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören. «Wir haben vor, um neun zu fahren. Ich möchte vor dem Einbruch der Dunkelheit in Ais sein.»
«Entschuldigt, Vater. Wir haben zu lang geschlafen. Es kommt nicht wieder vor», murmelte Catarino. Cristino schwieg. Sie machte ein Gesicht wie auf einer Beerdigung.
«Setzt euch und esst. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Madaleno, was ist? Willst du nicht auch endlich Platz nehmen?»
Mit einem theatralischen Seufzer ließ sich die Dame Castelblanc auf den gegenüber liegenden Platz am Fußende des Tisches fallen.
«Meine Nerven! Wenn ich das überstehe, werde ich dieses Haus nie wieder verlassen, das schwöre ich, bei Maria Mutter Gottes!», jammerte sie. «Oh, wären wir doch schon in Ais, wären wir doch schon in Ais!»
Die Tür öffnete sich, und Fabiou betrat das Zimmer. Frederi Jùli brach in Gekicher aus. «Fabiou, du hast lauter schwarze Flecken im Gesicht!», mampfte er, den Mund voller Kuchen.
« Petit , t schluck ‘runter, bevor du
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