Die Kinder des Ketzers
dir das beigebracht? – Himmel, bei dem würde ich auch gerne ein paar Stunden nehmen!»
«Das geht leider nicht.» Arnac lächelte traurig. «Er lebt nicht mehr.»
«Welch Verlust! Jesus und Maria, wenn du jetzt schon so kämpfst, wie soll das erst mal in zehn Jahren sein, so jung wie du bist!»
«So jung bin ich auch wieder nicht!», entrüstete sich Arnac. «Ich werde nächste Woche einundzwanzig!»
«Wirklich? Ich hätte dich bestenfalls auf achtzehn geschätzt.
– Ich bin dreiundzwanzig», fügte er hinzu. Dann zögerte er einen Moment, bevor er sagte: «Du hast vorhin gesagt, ich würde die Sache mit deinem Vater nicht verstehen. Ich möchte sie aber gerne verstehen.» Er machte eine kurze Pause. «Ist es wahr, dass er Ketzern zur Flucht verholfen hat?», fragte er dann. Arnac warf einen interessierten Blick in die Tiefe seines Weinglases. «Wenn es etwas gibt, was ich von meinem Vater gelernt 312
habe, dann niemanden zu hassen, nur weil er eine andere Meinung vertritt, sei sie nun religiös oder politisch», sagte er langsam. «Es gibt Menschen, die suchen ihr Heil im Wort und andere im Sakrament. Ist das ein Grund, sich gegenseitig umzubringen?»
Sébastien sah ihn nachdenklich an. «Darüber habe ich mir ehrlich gesagt noch nie Gedanken gemacht», gab er zu. «Ich bin bisher allerdings auch noch niemandem begegnet, der es in Frage gestellt hat, dass der Protestantismus bekämpft werden muss.»
Arnac grinste. «Ich weiß – Protestanten stehlen, stinken und fressen kleine Kinder, das saugt man ja schon mit der Muttermilch ein.» Er schwieg kurz. «Mein Vater hatte zwei gute Freunde, die Protestanten waren», sagte er dann. «Als ich ein Kind war, habe ich an ihrem Tisch gegessen und mit ihren Kindern gespielt. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, jemanden zu hassen, weil er Protestant ist. Mein Vater sagte immer, es ist nicht wichtig, ob einer Protestant oder Katholik ist, es ist nur wichtig, ob er ein guter Mensch ist.»
«Was ist aus diesen Freunden geworden?», fragte Sébastien neugierig.
Arnac hob die Schultern. «Sie sind tot. Der eine wurde vor seinem Haus von einem Söldnertrupp erschlagen, der andere im Gefängnis ermordet.»
«Und… die Kinder?»
«Wurden von der Schwiegerfamilie gut katholisch erzogen, auf dass man das letzte Mal einen solchen Skandal am Hals hatte», sagte Arnac mit einem bitteren Grinsen. «Aber lassen wir das. Was macht deine Familie?»
Sébastien erzählte von seinem Vater, der vor einigen Jahren gestorben war, von dem Schloss, das er hinterlassen hatte, von seiner Mutter, die noch lebte und eine liebenswerte, gute Frau sei, von seinen vier jüngeren Brüdern, von seiner Zeit am Pariser Hof und wie viel mehr es ihm Spaß machte, durch die Lande zu reisen und Abenteuer zu erleben. Cristino hörte höflich zu, nickte und lächelte zu allem und hoffte, dass bald die Tänze begännen und die Aufmerksamkeit der jungen Herren dann wieder ihr gehöre. Sie hatte Glück. Der Abend nahte, Diener verteilten überall im Garten kleine Gefäße aus buntem Glas, in denen Kerzen standen, 313
Musikanten nahmen Aufstellung, die ersten Flöten-und Lautenklänge drangen zu ihnen hinüber, die ersten jungen Herren führten ihre Angebeteten zur Tanzfläche, einem niedrigen hölzernen Podest in der Größe eines Ballsaals. Cristino wartete darauf, dass Arnac sie zum Tanz aufforderte, doch dieser entschuldigte sich, sein Vater erwarte ihn, und nach einer brüderlichen Umarmung durch seinen neu gewonnenen Freund Trévigny verließ er die Veranstaltung.
Die Sonne sank, Dunkelheit fiel zwischen die Bäume. Überall wurden die Kerzen entzündet, der ganze Garten funkelte vor lustig flackernden, bunten Lichtern, die Wege gesäumt mit roten Lichtpunkten, bunte Laternen im Geäst der Bäume, und das Lachen der Menschen darunter. Es war dann Trévigny, der Cristino zum Tanzen aufforderte, eine Einladung, die sie nur zu gern annahm, zumal heute ihr Schuhwerk keinerlei Probleme bereitete, und auch ihr Knöchel hatte sich bereits weitestgehend erholt. An diesem Abend tanzte sie mit drei jungen Männern – Trévigny, Artus de Buous und einem der Estrave-Söhne, was Catarino später belächeln würde, da sie natürlich mit so gut wie allen jungen Männern tanzte, und der einzige Wermutstropfen war, dass Alexandre de Mergoult nirgends mehr zu entdecken war. Nach dem Kampf gegen Trévigny hatte er sich offensichtlich zurückgezogen. Cristino hoffte inständig, dass sein Groll nicht ihr galt. Die
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