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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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Bildern zu entziffern, aber den Namen Pierre Avingou konnte er nirgends entdecken. Hinter dem Eingang saß ein griesgrämiger Herr an einem Pult, wo sich ein Student soeben in einem aufgeschlagenen Buch eintrug. Der Herr nickte angedeutet, der Student ging weiter, und der Herr wandte sich Fabiou zu, mit einem Blick, als ob er ihn fressen wollte.
    Bloß nicht einschüchtern lassen. «Guten Morgen», sagte Fabiou fröhlich und griff nach dem Federkiel. Ein Blick auf das Buch. Der Student vor ihm hatte seinen Namen und seinen Herkunftsort eingetragen.
    «Was ist denn das für ein Benehmen! Nimmt man heutzutage nicht mehr den Hut ab, wenn man eine Bibliothek betritt?», blaffte 319
    der Mann. Fabiou zog hastig das Barett von seinem Kopf. Er zögerte einen Moment, bevor er die Feder ins Tintenfass tauchte. Er war noch nicht allzu oft in der Situation gewesen, seinen Namen in ein offizielles Dokument eintragen zu müssen, und er war sich ziemlich im Unklaren darüber, wie er es mit der Orthographie zu halten hatte. Sollte er sich «Beaufort» schreiben, wie es die Franzosen zweifelsohne getan hätten? Oder lieber «Bèufort», wie es auf dem Grabstein seines Vaters stand? Überhaupt – war «Fabiou» eigentlich ein Vorname, den man in das Register einer Universitätsbibliothek eintragen konnte? Klang das nicht sehr hinterwäldlerisch?
    Sollte er nicht besser die französische Form wählen, «Fabien» also?
    Oder gar die lateinische, «Fabius»? Und was sollte er als seinen Herkunftsort eintragen? Ais, wo er geboren war? Castelblanc?
    Ein ungeduldiges Räuspern des Bibliothekars zeigte ihm, dass dies nicht die Zeit und der Ort für Grundsatzüberlegungen war, und so kritzelte er schließlich kurz entschlossen Fabiou Kermanach de Bèufort, Aix in das aufgeschlagene Buch. «Entschuldigt», fragte er dann, bemüht um einen selbstsicheren Ton, «wo finde ich die Annalen von Galaud?»
    Der Herr hatte sich bereits wieder den Unterlagen auf seinem Tisch zugewandt. «Letztes Regal links», grunzte er kaum verständlich.
    «Ah. Danke.» Fabiou tat es dem Studenten nach, schritt an dem Pult vorbei und betrat die Bibliothek.
    Er war nie zuvor in einer Bibliothek dieser Größenordnung gewesen. Davon gehört hatte er natürlich, von endlosen Bücherregalen, geordnet nach einem ausgeklügelten Prinzip, das zu beherzigen so unabdingbar war, dass ein Buch, nur einen Schritt zu weit links oder rechts ins Regal gestellt, ein Menschenalter lang nicht mehr gefunden wurde. Jetzt war er fast etwas enttäuscht. Bücher, natürlich, massenhaft Bücher, Bücher wohin man sah, in Regalen aufgestellt und auf den Tischen gestapelt, an denen die wenigen arbeitsamen Studenten saßen, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Der Raum hatte nichts von der geheimnisvollen Aura unermesslichen Wissens, die er mit dem Wort Bibliothek stets verbunden hatte. Er roch nach Leder, Staub und Fleißarbeit. 320
    Er fragte sich, wie oft sein Vater hier gesessen hatte, damals, als er hier, in diesen Räumlichkeiten, Jurisprudenz studiert hatte. Das Regal hinten links war nicht nur seiner Position nach das letzte. Die Bücher darin waren größtenteils zerfledderte, abgenutzte Exemplare, auf denen sich eine dicke Staubschicht abgelagert hatte und die auch dem Inhalt nach nicht gerade zu den genialsten Ergüssen menschlicher Geisteskraft gehörten. Was hier stand, wurde von den Verantwortlichen der Universität offensichtlich als gerade wertvoll genug erachtet, um nicht zum Anschüren des Herdfeuers zu dienen.
    Die Annalen waren eine Sammlung großer, säuberlich in Leder gebundener Folianten. Die Einbände der neueren, ab 1546, waren karminrot, die der älteren dunkelbraun, fast schwarz. Die Jahreszahlen waren in Metallprägung auf den Rücken der Bände angebracht. Römische Zahlen natürlich. MDXXXXII-MDXXXXV
    waren gute acht Pfund angestaubter Stadtgeschichte. Auf Zehenspitzen stehend wuchtete Fabiou den Band aus dem Regal und schleppte ihn keuchend zu einem leeren Tisch, wo er ihn auf die Tischplatte und sich selbst auf den dahinter stehenden Hocker fallen ließ. Von vorne und von der Seite trafen ihn die ärgerlichen Blicke der arbeitenden Studenten, «Ruhe!», zischte einer. Fabiou senkte den Kopf, bis seine Nasenspitze schier die Tischplatte berührte, und öffnete das Buch. Der gestrige Abend hatte einige neue Erkenntnisse gebracht, und die Ermordung Bossards war sichtlich das aussagekräftigste Ereignis. Bewies sie doch ein für alle Mal stichhaltig, dass an der

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