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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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prekäre Note. Im Moment war ganz Ais auf der Spur des unheimlichen Mörders in der Holzmaske, der seine Bluttaten mit Santonou unterzeichnete, und das war ein Umstand, der Fabiou beunruhigte. Je mehr und je wichtigere Leute auf die Aufklärung des Verbrechens drängten, desto eher würde der Viguié geneigt sein, eine einfache, aber vermutlich falsche Erklärung für die Morde zu akzeptieren. Und die Wahrheit würde wie so oft mit Füßen getreten.
    Die Zeit drängte also.
    Die Druckerei von Mèstre Mouche Piqueu fand sich an der Einmündung der Carriero de la Jutarié in die Carriero dou Pous-Caud, der Eingang zur Carriero dou Pous-Caud gelegen. Die Tür stand offen und gab den Blick in einen ziemlich unordentlichen Kontor frei, in dem sich Papiere ellenhoch auf Tischen und Pulten stapelten. Menschliche Wesen waren derzeit nicht anwesend, nur ein magerer, struppiger roter Kater strich maunzend um die Bänke, und im Hintergrund war ein infernalisches Quietschen und Rum353
    peln zu hören, das sich mit dem Schlagen von Türen und den Rufen von Männerstimmen vermischte.
    Wie die meisten Edlen hatte Fabiou nicht allzu viele Skrupel, unangemeldet in das Haus eines Handwerkers hereinzuplatzen, schon gar nicht mit einem Diener von der Statur eines Kleiderschrankes an seiner Seite. Entschlossen bahnte er sich einen Weg durch das Chaos des Kontors bis zu der kleinen Tür an der Rückseite des Raumes, die er frohen Mutes aufstieß.
    Vor ihnen entspann sich eine Szenerie, die einer Illustration von Hieronymus Bosch entnommen schien. In einem Raum nicht größer als der salon in Oma Felicitas’ Wohnung drängten sich nicht weniger als sechs Ungetüme aus schwarzem Eisen, die der Form nach latent an Obstpressen erinnerten, zwischen Tischen, Regalen und Kisten gefüllt mit glänzenden Bleipartikeln. Männer sprangen zwischen diesen Monstern hin und her, drehten hier am Rad einer Presse, wuchteten dort flache bleigefüllte Kästen auf die Konsolen der Maschinen, schleppten riesige Bogen Pergament und Eimer schwarzer Druckflüssigkeit herbei und sortierten mit schwarzverfärbten Fingern Bleistückchen in Setzkästen ein. Über allem lag ein Lärm, der Fabious Hände zu seinen Ohren zucken ließ und selbst den allerhand gewöhnten Loís dazu verleitete, schmerzlich das Gesicht zu verziehen.
    «Bon-jour», brüllte Fabiou gegen den Lärm an, «ich suche Mèstre Piqueu.»
    Im ersten Moment geschah gar nichts, die Handwerker gingen unbekümmert weiter ihrer ohrenbetäubenden Arbeit nach, und Fabiou legte gerade beide Hände zu einem Trichter an den Mund, um sein Ansinnen zu wiederholen, als durch den tintegeschwärzten Raum eine lange, magere Gestalt auf sie zugeeilt kam. Er war definitiv mit dem räudigen Kater im Vorraum verwandt. Spärliche, hellbraune Haare, die fast kerzengrade in die Luft abstanden, Arme, Beine und Gesicht so dürr, als wäre er der einzige Überlebende einer Hungersnot, und die Gliedmaße dabei so lang, dass er seine Druckpressen höchstwahrscheinlich von der Plaço de Sant Sauvaire aus ölen konnte. Er machte eine gewandte Verbeugung, bei der er beinahe mit dem Kopf gegen einen der Kästen mit 354
    den bleiernen Buchstaben stieß, und fragte, wobei er der Verständigung wegen schreien musste: «Ihr wünscht, Senher?»
    «Seid Ihr Mèstre Mouche Piqueu?», fragte Fabiou.
    «Tztztz!» Sein Gegenüber schüttelte ungläubig den hageren Kopf. «Sehe ich so aus, als wäre ich’s?»
    «Es tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung, wie Mèstre Piqueu aussieht», entgegnete Fabiou. «Wo finde ich ihn?»
    «Tja, ich fürchte, da müsst Ihr sehr weit reisen», meinte der Dürre mit dem Bürstenhaar, wobei er fortfuhr, den Kopf zu schütteln.
    «Mouche Piqueu ist tot. Und zwar schon seit dreizehn Jahren.»
    Dreizehn, die Teufelszahl – wieso kamen ihm gerade jetzt diese Worte seiner Schwester in den Sinn? Seit dreizehn Jahren. Vor dreizehn Jahren schrieben wir das Jahr des Herrn 1545.
    «Vielleicht wollt Ihr solange mit mir vorlieb nehmen – Mèstre Louis Piqueu, zu Euren Diensten, der jüngere Bruder des Verstorbenen und Erbe des Geschäftes. Was führt Euch hier her, junger Senher? Ihr seid gewiss Student und sucht nach einem preisgünstigen Druckerzeugnis aus unserem Betrieb? Etwas mit kleinen Schönheitsfehlern vielleicht?»
    «N…nein, nicht direkt. Es geht um ein bestimmtes Buch, das in dieser Druckerei hergestellt worden ist, vor ungefähr sechzehn Jahren. Aus bestimmten persönlichen Gründen benötige ich

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