Die Kinder des Ketzers
Felicitas starrte aus dem Fenster auf die Hausfassaden in der Carriero dis Noble, «er hatte wohl Wichtigeres zu tun. Ein Gut zu bestellen, ein paar Kinder großzuziehen…» Sie räusperte sich und sagte dann mit einer Stimme, die ungewohnt leise klang: «Er hat nie wieder gemalt, seit Cristous Tod. Nie wieder. – Wir gehen wieder runter», erklärte sie dann in gewohnter Schroffheit. «Los, Kinder. He, hört ihr nicht?»
Sie standen und konnten sich nicht losreißen von den Bildern und den Farben und dem jungen Mann, der ihr Vater gewesen war, und Oma Felicitas schimpfte, das habe man nun davon, die Rangen hier ‘reinzulassen, und schob sie allen Protesten zum Trotz zur Tür hinaus.
«Warum hat unser Stiefvater mich nicht gemalt?», fragte Cristino, als sie hinter ihrer Großmutter die Treppe hinabtrottete.
«Oh, er wollte es sicher, aber die Ereignisse überschlugen sich damals, das Fieber, das euch alle traf… wer denkt da noch ans Malen?»
«Was war es für ein Fieber?», fragte Fabiou.
«Nun, ähm, keine Ahnung, ich bin schließlich kein Arzt…»
«Das meine ich nicht!», sagte Fabiou. «Ich meine, war es eine der Seuchen, die nach der Ermordung der Waldenser die Runde machten, an der mein Vater gestorben ist?»
351
Oma Felicitas stolperte und konnte sich gerade noch an das hölzerne Geländer klammern, das sich an der Wand entlang nach oben zog. «Himmelherrgottundmaria», fluchte sie, «auf diesen verflixten Stiegen breche ich mir noch einmal den Hals!»
Dann erreichten sie den salon und lauschten fasziniert dem Bericht des Cavaliés über die neuesten Gerüchte, die in Ais bezüglich des Fall Bossard die Runde machten. Insbesondere, dass ein Diener der Mancouns kurz vor der Entdeckung von Bossards sterblicher Hülle eine seltsame Gestalt im Garten gesehen haben wollte, die daraufhin die Flucht ergriffen und sich Richtung Keyrié davongemacht habe. Ein Schauspieler, Teil der Belustigungen des Abends, habe er gedacht. Nur dass die Mancouns Stein und Bein schworen, keinen derartigen Schauspieler für ihre Festivität engagiert zu haben.
Eine Maske hat er getragen, eine weiße Holzmaske wie die Narren bei der Carnava, erzählte der Diener. Eine Maske mit einem lachenden Mund und einer blutroten Träne, die aus ihrem rechten Auge tropft.
***
Fabiou war lernfähig und durchaus nicht auf Schwierigkeiten aus
– er hatte auch so genügende –, und so bat er den Cavalié an diesem Nachmittag artig, sich in der Stadt umsehen zu dürfen. In Ordnung, grummelte dieser, aber nimm einen Diener mit, langsam graust’s mir echt mit diesen Morden. Fabiou sagte brav ja und machte sich auf zu den Pferdeställen.
Er fand Loís bei der Arbeit und nicht unbedingt in Hochform vor, sein rechter Arm war mit einem Stück Tuch verbunden, und er musste die linke Hand benutzen, um das Pferd zu striegeln. Auf Fabious erschrockene Frage meinte er, er sei gestolpert und habe sich den Arm an einem Nagel aufgerissen. Nein, es sei nicht so schlimm, und ja, natürlich könne er mit Fabiou in die Stadt gehen, wohin willst du? Zu welcher Druckerei?
Loís lief los, sich ein saubereres Wams anziehen und seine Hände zu säubern, und Fabiou wartete im Schatten der Carriero de Jouque und sah dem alten Bardou entgegen, der gerade von dem Schuppen 352
an der Einmündung der Straße in die Carriero dis Noble zurückkam, wo die Kutsche untergebracht war – die Carriero de Jouque war zu eng, um die Kutsche direkt in den Hof fahren zu können. Bardou blickte seinem Sohn hinterher, der mit einem fröhlichen Pfeifen auf den Lippen dem Hauptgebäude zueilte. «Mergoult», sagte er, den Namen zwischen seinen Zähnen hervorschleudernd wie ein abscheuliches Schimpfwort. «Er ist ein Teufel, der Mergoult. Wie sein Vater, der ist auch ein Teufel.» Er spuckte in den heißen Staub der Carriero de Jouque.
Fabiou verstand kein Wort.
«Wo gehen wir eigentlich hin?», fragte Loís, als sie wenig später in die Hektik und den Lärm der Carriero drecho hinaustraten.
«Nicht weit», erklärte Fabiou. «Carrierro dou Pous-Caud.» Er war zu angespannt, Loís mehr zu erzählen. Wenn man die Ohren spitzte, klangen einem die Namen Bossard und Antonius-Jünger aus jedem Hauseingang, jeder Seitenstraße und jedem Marktstand entgegen. Nicht dass Bossard ein so wichtiger Mann gewesen wäre. Doch der Mord an einem Adligen war immer eine Sensation, und dass derselbe auf der exklusiven Gesellschaft der Mancoun geschehen war, gab dem Ganzen eine besonders
Weitere Kostenlose Bücher