Die Kinder des Ketzers
Felicitas.
Alle starrten sie an. «F-F-Frederi?», stotterte Catarino entgeistert.
«Das gibt’s doch nicht!», krächzte Fabiou.
Sogar Cristino war aus ihrer Erstarrung erwacht. « Incroyable !», flüsterte sie.
«Oh ja, Frederi. Er war begabt, das dürft ihr mir glauben», sagte Oma Felicitas.
«Frederi kann malen?», schrie Catarino fassungslos.
«Und zu mir sagt er immer, Kunst sei Zeitverschwendung», meinte Fabiou kopfschüttelnd eingedenk diverser Diskussionen über Sinn und Unsinn der Poesie.
«Alle Bilder in diesem Raum sind von ihm, einschließlich der Bildunterschriften.» Sie wies auf den Rahmen des Bildes vor ihnen. Auf eine kleine ausgesparte Fläche war in scharfen Lettern auf hellem Untergrund geschrieben: Cristou Kermanach de Bèufort, studiosus iuris prudentiae in urbe Aquis Sextiis – Cristou Kermanach de Bèufort, Student der Rechtslehre in der Stadt Ais. Neben dem Bild war an einem Haken ein Degen samt Scheide und Gurt aufgehängt, ein kurzer Vergleich mit dem Bild zeigte Fabiou, dass es der Degen seines Vaters sein musste.
Sie sahen sich um. Der Raum war ein kleiner salon , eine Art Miniaturausgabe des großen einen Stock tiefer. Das Fenster ging nach Norden heraus, was zur Folge hatte, dass im Inneren gedämpftes Zwielicht herrschte, hell genug jedoch, um die Bilder zu 349
erkennen, die entlang der Wände aufgehängt waren, Ölgemälde, die allesamt Personen zeigten, Menschen, die so lebendig wirkten, dass es wohl keinen gewundert hätte, wenn sie plötzlich begonnen hätten, sich zu bewegen. «Das ist euer Onkel Pierre», erklärte Oma Felicitas und zeigte auf ein Bild, auf dem ein dunkelhaariger, hochgewachsener junger Mann im Gewand eines Gelehrten abgebildet war, neben ihm eine junge Frau in Schwesterntracht. «Das daneben ist Beatrix, seine Schwester. Damals hatte sie gerade die höheren Weihen empfangen, und Pierre war soeben zum Magister der Universität ernannt worden», erklärte die Großmutter. «Consolatoria war Beatrix’ Ordensname. Sie war die ältere, Pierre war zwei Jahre jünger als sie. Sie war genauso begabt wie er. Wäre sie ein Mann gewesen, sie hätte es ihm gleichgetan.» Petrus Avingus, sciens magnus, et sapientissima pia soror Consolatoria – Pierre Avingou, der große Wissenschaftler, und die überaus weise, fromme Schwester Consolatoria, verriet die Unterschrift.
«Und wer sind die?», fragte Cristino und zeigte auf ein Bild, das vier junge Leute zeigte, von denen zwei unschwer als Cristou Kermanach und Pierre Avingou zu erkennen waren. Der dritte hatte dunkle, etwas lockige schulterlange Haare und pechschwarze Augen. Der vierte war kräftig, breitschultrig, hatte einen hohen Haaransatz, dünnes braunes Haar und ein vierschrötiges Gesicht.
«Oh, zwei Freunde von Cristou, Pierre und Frederi», sagte die Großmutter. «Ihr kennt sie nicht.»
Fabiou sah auf die Bildunterschrift. Quattuor veri amici dextrae rei impiger & generose addicti – Vier wahre Freunde, der rechten Sache unermüdlich und großzügig zugetan… Frederi soll sich noch einmal über meine geschraubte Sprache beschweren! «Waren die anderen beiden auch Juristen?», fragte er.
«Warum?»
«Ach, wegen dieser Bildunterschrift.»
«Die anderen beiden…» Oma Felicitas sah nachdenklich auf das Bild. «Nein, soweit ich weiß, nicht…»
Und Catarino schrie zum zweiten Mal auf.
Es war das Bild, das direkt rechts neben der Tür hing, verspielte Farben auf einer Leinwand, die in einen filigranen goldenen Rahmen eingepasst war. Ein kleines Mädchen, leuchtende grüne Au350
gen, ein lachender kleiner Schmollmund, ungeschönt die karottenroten Kraushaare, die das niedliche runde Gesicht umgaben, die braunen Tupfer auf der kleinen rosa Nase. Daneben der Junge, winkend mit zwei ungelenken Ärmchen, ebenso rothaarig, ebenso sommersprossig, Fabiou und Catarino, ein Spiegelbild aus einer längst vergangenen Zeit.
Catarino stand und streckte die Hand aus und berührte die Farben, berührte die Kindergesichter, die sie fröhlich anlachten, und zog die Hand zurück, als habe sie gegen einen heißen Ofen gelangt.
«Das hat Frederi gemalt?», fragte sie ungläubig.
«Er war wirklich begabt, wie gesagt», meinte Oma Felicitas. «Ich verzeihe ihm nie, dass er aufgehört hat zu malen.»
«Wieso hat er denn aufgehört?», fragte Fabiou mit blitzenden Augen. «Ich meine, er hätte echt berühmt werden können mit solchen Bildern. Oder zumindest viel Geld damit verdienen können.»
«Nun…», Oma
Weitere Kostenlose Bücher