Die Kinder des Ketzers
Studenten gewesen sein. So ist das mit Studenten – wenn das Studium vorbei ist, zerstreuen sie sich in alle Winde. Et nemo colligit dissipata.»
Und niemand sammelt ein, was zerstreut ist. «Warum interessiert dich das, Fabiou?» Oma Felicitas betrachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen.
«Es ist nur so – ich weiß so wenig über meinen Vater», sagte Fabiou. «Alles was ich weiß, weiß ich von meiner Mutter und meinem Stiefvater. Und die erzählen immer nur, was für ein wunderbarer Mensch mein Vater gewesen ist und wie tragisch es ist, dass er nicht mehr lebt. Es… es klingt irgendwie alles zu gut, um wahr zu sein.»
Sie lachte. Eines der wenigen Male, dass sie sie lachen hörten.
«Dein Vater war zu gut, um wahr zu sein», meinte sie. «Im Ernst, Fabiou, dein Vater war ein wunderbarer Mensch. Wir hatten ihn alle sehr gern.»
«Oh ja, natürlich, und Frederi hat ihm auf dem Totenbett versprochen, anständige Menschen aus uns zu machen, wie er uns bei jeder Gelegenheit erzählt.» Catarinos Stimme triefte vor Ironie.
«Sprich nicht so von deinem Stiefvater, Catarino», sagte die Großmutter. «Er ist ein guter Mann, hat euch aufgezogen wie seine eigenen Kinder, und was er da sagt, ist im Übrigen wahr. Er hat Cristou versprochen, sich um euch zu kümmern, als der im Sterben lag.»
«Er hat ihm wohl vor allem versprochen, sich um seine Frau zu kümmern!», zischte Catarino böse.
«Catarino! Du bist in höchstem Maße undankbar und ungerecht!», sagte die Großmutter hart. Catarino murmelte etwas Unverständliches.
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«Dann waren sie wirklich Freunde, mein Vater und mein Stiefvater?», fragte Fabiou ungläubig. Er hatte dies bisher immer für eine schöne Legende gehalten.
«Die besten, die man sich vorstellen konnte», antwortete die Großmutter. «Sie haben einander geliebt wie Brüder. Mehr als das.»
«Oh ja, er hat meinen Vater geliebt, und Mutter hat meinen Vater geliebt, wie sie ja immer sagt. Warum haben sie beide dann kaum gewartet, dass mein Vater unter der Erde war, bis sie geheiratet haben?» Catarinos Augen funkelnden wütend.
«Euer Stiefvater und eure Mutter haben nach der üblichen Trauerzeit, die einer Witwe ansteht, geheiratet», erwiderte Oma Felicitas.
«Aber wenn Mutter Vater geliebt hat, warum hat sie dann überhaupt einen anderen Mann geheiratet?», rief Catarino verzweifelt.
«Das Leben einer Witwe ist nicht einfach, Mädchen», sagte Oma Felicitas kühl. «Glaub mir, ich bin seit über zwanzig Jahren Witwe, ich weiß, wovon ich rede. Und sie hatte euch. Sie brauchte einen Mann, der sie und ihre Kinder beschützte und gesetzlich vertrat.»
«Trotzdem», murmelte Catarino wütend.
Die Großmutter seufzte und schlug das Buch zu. «Kommt mit, Kinder, ich will euch etwas zeigen.»
Sie stiegen die Treppe in den zweiten Stock des Hauses empor, Cristino als letzte, noch immer so abwesend, dass Catarino ihr einen Stups gab und schimpfte, wach endlich auf, ma p’tite , die Nacht ist vorbei! Catarino und Fabiou dagegen waren jetzt hellwach, denn der zweite Stock war Oma Felicitas erklärtes Heiligtum, das außer ihr und ihren persönlichen Dienern niemand betreten durfte, und sie hatten schon lange darauf gegiert, sich hier einmal umzusehen. Oma Felicitas schritt auf eine Tür zu und öffnete sie mit den Worten: «Hereinspaziert. Dies ist mein ganz eigenes, privates Reich.»
Sie traten ein. Und Catarino schrie gellend auf.
An der Wand, ihnen direkt gegenüber, hing ein Gemälde. Der junge Mann, den es zeigte, hätte Fabiou sein können, die gleichen rotgelockten Haare, die gleichen grünen Augen, das gleiche sommersprossige Gesicht mit dem verschmitzten Lächeln. Nur dass der junge Mann natürlich älter als Fabiou war, Anfang zwanzig 348
vielleicht, ein hübscher junger Senher mit blitzenden Stiefeln, eleganter, seine schlanke Gestalt betonender Kleidung und einem Degen mit ziseliertem Griff an seiner Seite. So frisch, so lebendig wirkte das Bild, dass man fast erwartete, der junge Mann würde im nächsten Augenblick aus dem Rahmen heraustreten.
«Vater!», schrie Catarino. «Gott, das gibt es doch nicht. Es ist so… ähnlich!»
Fabiou trat näher und musterte den jungen Mann mit den roten Haaren und den funkelnden grünen Augen. Er hatte keinerlei Erinnerung an seinen Vater, ob das Bild ihm ähnlich war, konnte er daher nicht beurteilen. Aber es sah wirklich unglaublich lebensecht aus. «Wer hat das gemalt?», fragte er bewundernd.
«Frederi», sagte Oma
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