Die Kinder des Ketzers
Vorwürfe zu machen! Es war nicht deine Schuld! Du hast das Richtige getan! Das einzige, was ein Freund für ihn tun konnte!»
Ein Flüstern. «Ihr wart nicht dabei… ihr wisst nicht, wie es war…»
«Hat einer von euch schon mal an unseren besonderen Freund gedacht? Was, wenn er dahinter steckt?»
«Ich kann mir das nicht vorstellen! Ich weiß, ihr haltet ihn immer noch für verantwortlich…»
«Allerdings!»
«Aber, Leute, das kann doch irgendwie gar nicht sein. Ich meine, dass einer so etwas tut, das ist ja wohl…»
«Teuflisch.»
«Teuflisch, ja. Und wer sollte es sonst gewesen sein? Ich? Du? Er?
Es gibt nicht allzu viele Möglichkeiten.»
«Du hattest mich mal im Verdacht, nicht wahr?»
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«Hm. Ja. Aber nach der Sache mit Schio ist mir klar geworden, dass du es nicht gewesen sein konntest! Du hättest ihn niemals in Gefahr gebracht.»
«Schön, dass du das wenigstens einsiehst!»
«Himmel, ich habe mich entschuldigt! Soll ich noch ‘nen Kniefall machen, oder was?»
«Leute, ich würde vorschlagen, die alten Streitereien jetzt ein für alle Mal beizulegen und uns auf die aktuelle Problematik zu konzentrieren, sonst könnte die Sache nämlich ganz schön übel ausgehen!»
«So wie letztes Mal, was?»
«Ja. So wie letztes Mal.»
«Ich habe es euch schon gesagt, und ich sage es noch mal: ich will mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben. Ich bin Familienvater, ich trage eine Verantwortung. Ich kann dieses Risiko nicht eingehen!»
«Ha!» Ein erregter Ausruf. «Glaubst du, die fragen danach, ob du dabei bist oder nicht? Denen reicht es, wer und was du bist, um dich zu töten.»
«Aber wer sind die, verdammt noch mal?»
«Fluch nicht!»
«Ich habe da so meine Theorie, aber… Himmel, mach mal einer die Tür zu, wollt ihr eigentlich, dass das ganze Haus mithört?»
Hastige Schritte, und unten klappte die Tür. Danach waren zwar noch gedämpfte Stimmen zu hören, doch Fabiou konnte nichts mehr verstehen. Er überlegte einen Moment, ob es sich lohnte, aufzustehen und ein Ohr an die Salontür zu legen, doch die Gefahr, dabei Frederi über den Weg zu laufen, war exorbitant, und abgesehen davon konnte er sich die Theorie der Carcisten zu den Morden auch so lebhaft vorstellen.
Er lag noch eine Weile wach, grübelte über das soeben gehörte Gespräch nach und überlegte, ob es ihm neue Erkenntnisse geliefert hatte. Nein, entschied er schließlich. Großschwätzer und nichts dahinter, diese Reservecarcisten, wie Trévigny gesagt hatte. Und mit dieser beruhigenden Erkenntnis schlief er schließlich ein.
***
427
Im selben Augenblick, in dem Fabiou auf seinem Kissen entschlummerte, hob Catarino drei Räume weiter den Kopf von dem ihren und stöhnte: « Ma petite , kommst du heute noch mal ins Bett, oder was?»
Die Angesprochene, Cristino nämlich, saß an dem kleinen Tischchen vor dem Fenster, den Kopf in die Hand gestützt, und starrte im kläglichen Schein einer einsamen Kerze auf die Seiten eines dicken Buches. «Gleich…», murmelte sie geistesabwesend.
«Sag mal, was liest du da eigentlich? Muss ja wahnsinnig spannend sein!»
«Oh… hm… Vesalius.»
«Kenn ich nicht. Was schreibt der so? Gedichte?»
«Nein! Das ist kein Dichter. Er ist Anatom.»
«Anawas?»
«Na, das ist so einer, der… der…»
Der Leichen aufschneidet.
«… der untersucht, wie der Mensch von innen aussieht.»
«Waas? Zeig mal!» Catarino hüpfte aus dem Bett und lief mit ihren nackten Füßen zu Cristino hinüber. Sie steckte die Nase in das Buch. «He!» Sie blätterte. «He!», rief sie dann noch einmal. «Da sind ja lauter nackte Männer drin! Wo hast du denn das her?»
Cristino wurde rot. «Aus… aus dem Studierzimmer. Es hat unserem Onkel gehört.»
« Intrigant ! Mann, pass bloß auf, das Frederi das nicht sieht! Den trifft der Schlag vor Wut!»
«Aber Bruder Antonius hat gesagt, dass ich es lesen soll!»
«Wie bitte? Bruder Antonius?» Catarino lachte Tränen.
«Ja!» Cristino wurde ärgerlich. «Damit meine Träume von Agnes und all den Toten aufhören!»
«Bruder Antonius!» Catarino war japsend auf das Bett gesunken. «Ein Mönch! Hihihihiii! Wegen deiner Träume! Na, das ist ja ‘ne Methode!»
«Du bist eine blöde Gans!», fauchte Cristino. «Überhaupt lese ich das Buch gar nicht wegen der nackten Männer, sondern weil ich es interessant finde, wie ein Mensch innen aussieht!»
Catarino hörte auf zu lachen und verzog das Gesicht. «Wäh. Das ist doch eklig.»
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«Ach, du bist
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