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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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der Hand hatte, stoppte auch Cristinos Pferd. «Cristino», sagte er, «Ihr seid es wert. Das und viel mehr.»
    Der Himmel hatte ein ungeheueres, giftiges Lehmgelb angenommen. Ferner Donner grollte durch die Bäume. Cristino saß starr im Sattel und blickte Mergoult aus großen Kaninchenaugen an, während er sich langsam zu ihr hinüber beugte, seine kräftige Hand sich hob und vorsichtig eine helle Haarsträhne aus ihrem Gesicht strich. «Ihr seid schön, Cristino», sagte er. «Unglaublich schön.»
    Sie spürte, wie sich alles zu drehen begann, der Wald, die Bäume, die Schatten im Unterholz. Fern das Wetterleuchten über dem Wald, fern die Stimmen der Reiter und der Diener, die sich mit deren Fang abschleppten. Ich werde wahnsinnig, dachte sie. Nein, ich fliege.
    Seine Hand strich über ihr Gesicht, liebkoste ihre Wange, berührte ihre zitternden Lippen. «Keine Angst, Cristino», sagte er lächelnd, «keine Angst.» Sie wollte antworten, dass sie keine Angst hatte, doch ihre Stimme hatte sie verlassen, sie konnte nur starr da sitzen, die Hände um die Zügel gekrampft, und hoffen, dass dies kein Traum war, aus dem sie jeden Moment aufwachte. Seine Hand strich sanft über ihre Stirn. «Was ist das für eine Narbe?», fragte er lächelnd. «Ich frage mich das, seit ich Euch das erste Mal sah.»
    Sie errötete etwas. Das Puder reichte offensichtlich doch nicht aus, um die Narbe auf ihrer Stirn völlig zu verbergen. «Da bin ich von der Wickelkommode gefallen, als Säugling», meinte sie verlegen. «Eine Unachtsamkeit der Kinderfrau.»
    Er legte ihr die Hand in den Nacken. Sein Gesicht war dem ihren jetzt so nahe, dass sie seinen Atem auf der Haut fühlte. «Ich hätte diese Kinderfrau auspeitschen lassen», sagte er und küsste sie. Ein Blitz fuhr vom Himmel, begleitet von einem Donnerschlag, der die Bäume zum Erbeben brachte, schrill wieherten die Pferde, bäumten sich auf, die beiden jungen Menschen auseinanderreißend, Cristino kreischte, an den Knauf ihres Sattels geklammert, Mergoult fluchte brüllend, und knatternd fuhr der Wind durch 449
    die Bäume, ließ Laub und Zweige auf sie niederprasseln. Fern die aufgeregten Rufe der Festgesellschaft, das Gebell der Hunde, das Angstgeschrei unzähliger Mädchen, und wieder fuhr der Blitz nieder, Helligkeit wie eine explodierende Sonne, und in dem ohrenbetäubenden Krachen, das folgte, zerstob ein Baum zehn Schritte entfernt, und Cristino schrie, und das Pferd rannte. Sie war zu erschüttert, auch nur um Hilfe zu rufen. Äste peitschten ihr gegen die Arme und ins Gesicht, während das Tier in wilder Flucht durch das Unterholz brach, während ringsum grelles Licht zuckte und der Donner brüllte wie ein wütender Drache. Regen brauste nieder, durchnässte sie binnen Sekunden bis auf die Haut, Alexandre, wollte sie rufen, Alexandre, hilf mir, doch alles, was sie hervorbrachte, war ein unterdrücktes Wimmern, das der Sturmwind davontrug. Sie rutschte, glitt mit jedem Satz des panischen Tieres mehr aus den Stützen ihres Sattels, Haare klatschten ihr in die Augen, nahmen ihr die Sicht, der Stoff klebte auf ihrer Haut, sie krallte sich an die Mähne des Tieres, und plötzlich lag eine Senke vor ihr, fünf Schritte tief und die Böschung eine senkrechte Wand. Jetzt schrie sie.
    Da schoss einer aus dem Unterholz, warf sich vor das rasende Pferd, Hände umklammerten die Zügel, sie sah ihn zu Boden gehen, verschwinden unter den Hufen, doch die festgekrallten Hände lockerten sich nicht, zerrten an der schäumenden Kandare, und schnaubend und augenrollend kam das Tier zum Stehen. Sie fiel mehr, als dass sie absprang. Er fing sie auf und drückte sie an sich, das Pferd riss sich los und brach zur Seite aus und verschwand zwischen den lichtumzuckten Bäumen. Sie schrie noch immer, schrille, spitze Laute der Panik. Er redete auf sie ein, ganz ruhig, alles ist gut, alles in Ordnung. Keine zwei Schritte vor ihnen verschwand die Böschung in der Tiefe. Sie sackte auf die Knie. Bring mich nach Hause, Loís, ich will nach Hause, nach Hause, heulte sie. Ja, natürlich, ich bringe Euch nach Hause, keine Angst, sagte Loís. Der Himmel ließ Sturzbäche auf sie niedergehen, während er sie wie ein Kind in seine Arme hob und sich so seinen Weg durch das sturmgeschüttelte Gebüsch bahnte.
    ***
    450
    Das Gewitter unterbrach eines der interessantesten Gespräche des Nachmittags. Fabiou, eigentlich enttäuscht darüber, Degrelho als Gesprächspartner verloren zu haben, denn dieser hatte sich

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