Die Kinder des Ketzers
schickte giftige Blicke in die Umgebung. Fabiou hielt sich unauffällig im Hintergrund. Jean de Mergoult war in einer ziemlich unberechenbaren Stimmung, und er hatte keine Lust, zu erfahren, wie das Signal «Bèufort tot» lautete.
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Jemand tippte gegen seinen Unterschenkel. Fabiou sah nach links und runzelte die Stirn.
Es war ein Mann, den er schon das eine oder andere Mal im Gefolge der St. Roques gesehen hatte. Er war alt, jene frühe, verbrauchte Form von Alter, die man oft bei den Bauern schon im Alter von vierzig Jahren sieht, die Haut so grau wie die Haare, das Gesicht faltig und die Augen stumpf unter den hängenden Lidern. Er hielt eine Ratsche, was ihn als einen der Treiber auswies. Schwer zu sagen, ob er ein Diener war oder ein leibeigener Bauer, den die St. Roques zu Frondiensten einsetzten. Wenn er ein Diener war, dann ein Diener der alleruntersten Kategorie. Die Lumpen, die er am Leib trug, hätte kein Aiser Bettler auch nur geschenkt genommen. «Senher», nuschelte er. Die zu vernachlässigende Zahl der verbliebenen Zähne in seinem Mund machte seine Aussprache etwas undeutlich. «Senher, Ihr seid doch der, wo immer die Fragen zu den Antonius-Jüngern stellt, nich wahr?»
Herr Gott, ich bin berühmt, dachte Fabiou. Laut sagte er: «Ja. Bin ich. Na und?»
«Scht!» Die Augen zuckten nervös von links nach rechts. «Besser, man redet nich so laut da drüber. Besser nich!» Er blinzelte.
«Was willst du eigentlich?», fragte Fabiou verständnislos und etwas unangenehm berührt. Der Bauer war nicht unbedingt einer, den er sich freiwillig zur Gesellschaft herausgesucht hätte.
«Ist nur, weil Ihr das vorhin gesagt habt», zischelte der Bauer.
«Hab’s mir nämlich auch gedacht. Damals schon, wo’s den Degrelho erwischt hat, also den anderen Degrelho. Und jetzt auch wieder, beim Bossard. Kann ja nich gerade lesen, aber man sieht ja schon den Unterschied.»
«Ah», sagte Fabiou. Er verstand kein Wort.
«Wisst Ihr, Senher, der Joan, der konnte nämlich gar nich schreiben», murmelte der Bauer. «Die konnten alle nich schreiben. Bis auf den Jungen da halt, der hat ihnen die Zeichen beigebracht. Aber, wisst Ihr, Senher, der Joan, wenn geschrieben hat, das sah halt nie aus wie bei den Herren. Und die Schrift da letztens, beim Bossard…» Er schüttelte den Kopf.
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«Wenn ich dich richtig verstehe», sagte Fabiou leise, «dann war die Schrift, die man neben Bossard entdeckt hat, anders als die von Joan lou Pastre?»
«Ja, sag ich doch. Genauso wie damals beim Degrelho. Das war auch so ‘ne Schrift, wie’s die Herren haben. Und auch mit Blut. Der Joan, der hat nie mit Blut geschrieben.»
Aha! Dachte ich’s mir doch fast! «Was für ein Junge war das?
Der Joan das Schreiben beigebracht hat?», fragte Fabiou.
«Na, weiß auch nich. War ‘n kleiner Dieb, aber irre schlau. Konnte Latein und so. Weiß auch nich, wo sie den aufgegabelt hatten. Aber, wisst Ihr», wieder sah er sich ängstlich um, «der Degrelho, das war ein guter Mann. Der Joan hätte den nich umgebracht. Bestimmt nich.»
Hufschlag näherte sich, und da kamen die Meisterjäger aus dem Gebüsch gesprengt, verschwitzt, außer Atem und ziemlich souverän, allen voran Alexandre de Mergoult, und der Bauer duckte sich und verschwand im Unterholz. Jauchzend liefen die Mädels zusammen, bewunderten die jungen Herren und ihre Beute. Nicolas de Bouliers sprang in einer Gewandtheit vom Pferd, die ihm keiner angesichts seines Leibesumfangs zugetraut hatte, und überreichte seiner Verlobten, Marie d’Argoult, mit einer Verbeugung einen stattlichen Fasan. Mergoult hatte einen Bussard vom Himmel geholt, doch er wirkte dennoch eher missgelaunt, was vermutlich daran lag, dass Trévigny einen Fuchs erlegt hatte und Couvencour gar einen Rehbock. Die bewundernden Blicke der Weiber versöhnten ihn etwas, er berichtete seiner staunenden Zuhörerschaft, darunter Cristino, die mit glühendem Blick an seinen Lippen hing, welch hohes Maß an Konzentration und Körperbeherrschung ein derartiger Schuss erforderte.
«Mergoult.» In der Stimme, die diesen Namen aussprach, lag so viel Hass und Verachtung, dass es Fabiou regelrecht kalt den Rücken herunter lief. Er drehte sich um. Neben ihm hielt ein Pferd, und auf dessen Rücken saß, im Jagdhabit wie alle übrigen, die braunen Augen dunkel vor Wut, Jorgi de La Costo. Fabiou betrachtete ihn mit offenem Mund. La Costos Blick wandte sich ihm zu; seine Lippen waren weiß wie Alabaster, so heftig presste er
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