Die Kinder des Ketzers
an die Spitze des Zuges gesetzt, um seine Gäste dem rettenden Haus zuzulotsen, ritt etwas griesgrämig an dessen Ende, als plötzlich der jüngere Degrelho sein Pferd neben ihn lenkte und ihm lachend mit der rechten Hand zuwinkte. «Ein schönes Chaos!», meinte er.
«Kaum ziehen ein paar Wolken auf, gerät die feine Gesellschaft in Panik!» Fabiou, dem die Situation ebenso grotesk erschien, mit den lamentierenden Weibern und den Jungs, die nicht aufhörten, große Sprüche zu klopfen, und dabei von Minute zu Minute grüner im Gesicht wurden, lachte ebenfalls. «Du bist der junge Bèufort, nicht wahr?», meinte Victor Degrelho.
Fabiou nickte strahlend. Endlich mal einer, der ihn nicht Castelblanc nannte. Doch es kam noch besser. «Ich glaube, mein Vater hat deinen Vater gekannt», meinte Victor in diesem Moment nachdenklich. «Oder war es mein Onkel? Ich weiß nicht mehr, es ist ziemlich lange her.»
Fabiou wurde rot vor Freude darüber, jemandem zu begegnen, der einen kannte, der seinen Vater gekannt hatte. Und im Überschwang der Gefühle fragte er: «Dein Onkel – was war er eigentlich für ein Mensch?»
Victor Degrelhos Gesicht wurde ernst. «Ein unglaublicher Mensch», sagte er tonlos.
«Wie meinst du das?», fragte Fabiou etwas unbehaglich – er hatte nicht im entferntesten mit einer solchen Reaktion auf seine Frage gerechnet. Victor schüttelte langsam den Kopf. «Es ist verrückt», murmelte er. «Eigentlich sollte ich mich gar nicht mehr an ihn erinnern. Ich war gerade mal sechs, als er starb. Aber weißt du, manches, was er gesagt oder getan hat, steht mir vor Augen, als ob es gestern gewesen wäre.» Er blinzelte. «Vater… vermisst ihn sehr. Sie hatten ein sehr enges Verhältnis zueinander, weißt du.»
«Was war denn so ungewöhnlich an ihm?», fragte Fabiou. «Unglaublich, hast du gesagt. Das ist ja schon ein ganz besonderes Kompliment.»
451
«Er war ein Hitzkopf», sagte Victor mit einem seltsamen Lächeln. «Als Kind schon. Er hat dauernd irgendwelche verrückten Dinge getan. Meine Großeltern waren gestraft mit ihm.»
«Ich habe auch so ‘nen Bruder», meinte Fabiou. «Er hat mal die Suppenterrine gegen eine Schüssel mit lebenden Fröschen ausgetauscht. Meine Mutter hat schier der Schlag getroffen.»
«Nein… nein, das meine ich nicht.» Victor schüttelte heftig den Kopf. «Er war nicht unartig, er war kein Lausbub, der dauernd üble Streiche spielte. Aber… weißt du, er hatte ganz eigene Vorstellungen davon, was gut und was böse, richtig und falsch ist. Und wenn er etwas für falsch hielt, dann hat er Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um es zu verhindern.»
«Aber das ist doch keine schlechte Eigenschaft», meinte Fabiou erstaunt. «Wieso sagst du, deine Großeltern waren gestraft?»
«Na ja, das Wie hatte es in sich», seufzte Victor. «Er schreckte vor gar nichts zurück. Er sagte jedem seine Meinung, ob’s ein Parlamentsmitglied war oder ein Priester oder der Bischof persönlich. Mein Großvater schickte ihn auf eine strenge Klosterschule in Arle, um ihn zu zügeln, aber das einzige Ergebnis war, dass er nach ein paar Jahren hinausgeworfen wurde, wegen ungebührenden Benehmens und weil er einen schlechten Einfluss auf die anderen Schüler ausübte. Mein Großvater war mindestens dreimal knapp davor, ihn zu enterben, obwohl er ihn wohl sehr liebte und ihn als Erben von Astain vorgesehen hatte, nicht meinen Vater, den älteren. Einmal hätte er es wirklich beinahe getan, als Onkel Hector mit zwanzig Jahren plötzlich erklärte, er wolle eine Französin heiraten. Mein Großvater war sehr traditionell eingestellt, und damals waren Heiraten zwischen Provenzalen und Franzosen noch nicht an der Tagesordnung. Aber Onkel Hector sagte: Ich liebe Justine und ich werde sie heiraten, und wenn Ihr mich zur Tür hinausjagt.» Victor lachte. «Genau das hat mein Großvater dann getan, und trotzdem ist Hector geradewegs zu seiner Justine marschiert, deren Eltern genauso wenig mit der Verbindung einverstanden waren, und hat zu ihr in etwa gesagt, Justine, ich habe nichts mehr und bin nichts mehr, willst du mich trotzdem heiraten, und sie antwortete etwas im Stil von, mit dir gehe ich bis ans Ende der Welt, und noch am 452
gleichen Tag sind sie miteinander durchgebrannt und haben irgendwo geheiratet. Wahre Liebe!» Er seufzte tief.
«Aber dein Onkel wurde dann doch nicht enterbt?», fragte Fabiou.
«Großvater hat schließlich doch klein beigegeben und den verlorenen Sohn wieder in
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