Die Kinder des Ketzers
saß sie hier in dieser Kutsche, die sich mit jedem Hufschlag der Pferde und jedem Holpern der Räder weiter von Mauvent und Arman und ihrer goldenen gemeinsamen Zukunft entfernte. Sie hasste die Kutsche, die sie von Arman forttrug, und sie hasste ihre Eltern, die von ihr verlangten, nach Ais zu fahren, und sie hasste Ais, jetzt schon, und genau genommen hasste sie in diesem Moment sogar Catarino. Ais. Es würde ein furchtbarer Sommer werden, das war klar, inmitten all der fröhlichen Menschen, die ihr Leben noch vor sich hatten und noch nicht zur ewigen Trauer verdammt waren. Junge Männer würden ihr den Hof machen, doch natürlich konnte keiner von ihnen an Arman de Mauvent heranreichen, und sie würde ihr Werben höflich über sich ergehen lassen und innerlich nur sein Bild sehen, seine Stimme hören, und ihr Herz würde bluten dabei. Natürlich würde sie auch nicht heiraten, die Bewerber alle ablehnen, dann der Welt und der Familie entsagen und sich in ein Kloster zurückziehen, wo sie ein lebenslanges Schweigegelübde ablegen und den Rest ihrer Tage in Gebet und in Trauer über ihre verlorene Liebe verbringen würde. Oder sie würde ins Wasser gehen, sich des Nachts von einer einsamen Brücke in die Durenço stürzen, wobei das mit Nachteilen verbunden war, man würde ihr ein Begräbnis 49
in geweihter Erde vorenthalten, und das hieße sicher, dass sie ins Fegefeuer käme.
Überhaupt, fließt die Durenço eigentlich durch Ais?
Fern ratterten die Räder der Kutsche, trommelten die Hufe auf die Erde, lachten die Kinder, Maria Anno und Frederi Jùli. Cristino sah nicht ihre fröhlichen Gesichter, sah nicht den blauen Himmel über dem Land und die Blumen auf dem Feld. Sie sah die Durenço, einsam ihrem Lauf folgend, und treibend in den Fluten ihren eigenen zarten Körper, umflossen von einem Kleid in makellosem Weiß, das nur ihre nackten kleinen Füße und die schmalen Hände enthüllte, darüber ihr Gesicht bleich und unendlich schön, für immer geschlossen die Augen, und das Haar, das golden ihr Haupt umschwebte wie ein leuchtender Heiligenschein. Die Natur schweigt, Weiden am Ufer neigen ihre Äste zu ihren Füßen, verstummt ist das Zirpen der Grillen, das Zwitschern der Amseln, und nur die Nachtigall singt leise und klagend ihr Trauerlied. Mir ist langweilig, sagte Frederi Jùli.
Andererseits, was ist mit den wilden Tieren, die an den unbestatteten Toten fressen? Was ist mit den Wölfen und den Bussarden und den Ratten und den, der Himmel steh uns bei, den Krähen?
Würde sie als Aas enden, als verunstalteter Körper, der bei dem, der ihn letztlich fand, nur noch Ekel auslöste? Wäre sie letztlich so entstellt, dass keiner sie erkennen und folglich niemand je erfahren würde, was aus ihr geworden war, dass niemand je von ihrem Schicksal und ihrem tragischen Ende hörte? Sie hasste die wilden Tiere, mehr als sie Ais hasste, sie hasste die Ratten und sie hasste die Krähen, ganz besonders die Krähen, die widerlichen Totenvögel, die das Unglück ankündigten, wo immer man sie sah. So lange sie denken konnte, hatte sie sich vor Krähen gefürchtet, hatte ihr allein der Anblick der schwarzen Vögel Übelkeit bereitet. Jetzt wusste sie, warum, es war ein Blick in die Zukunft gewesen. Ich habe Hunger, sagte Frederi Jùli.
Sie konnte natürlich auch darauf verzichten, sich in die Durenço zu stürzen. Sie konnte heiraten, ein stilles, duldsames Leben an der Seite eines Gatten verbringen, der nicht verstehen würde, warum sein Weib nie lachte, nie scherzte, warum stets ein Schatten der Trauer über ihrem bleichem Gesicht lag, und dann, in jungen 50
Jahren, mit fünfundzwanzig oder so, würde ein Lungenleiden sie dahinraffen und Mann und Kinder weinend an ihrem Grab zurücklassen. Das würde ihr das Fegefeuer ersparen, und die Krähen, und das Vergessen, die Liebenden würden zu ihrem Grab pilgern und flüstern, das ist sie, sie lebte und starb für eine unerfüllbare Liebe, und sie würden weinend vor ihrem Stein knien und beten für ihr ewiges Seelenheil.
Mir ist schlecht, sagte Frederi Jùli.
In Sekunden waren die Pferde gestoppt, die Tür geöffnet, Frederi Jùli aus der Kutsche gehoben und an den Straßenrand verfrachtet, wo er sich über einen Busch erbrach. Das liegt nur an diesen unmöglichen Straßen hier, gepflasterte Straßen sollte es geben, wie in der Stadt, schimpfte die Dame Castelblanc, während der Cavalié
höchstpersönlich seinem Sohn mit einem feuchten Tuch das Gesicht abwischte.
Weitere Kostenlose Bücher