Die Kinder des Ketzers
starr auf ihrem Platz in der Kutsche, eingepfercht zwischen Catarino und Frederi Jùli, den Blick auf die hölzerne Wand ihr gegenüber gerichtet, und machte ein Gesicht wie eine sterbende Märtyrerin.
Und dann…
Der Kutscher parierte die Pferde, ein Ruck, und ein Aufschrei aus der Kutsche, als die Dame beinahe vom Sitz rutschte. Eine Überraschung. Jeder echter Dichter liebt Überraschungen, sie sind die Würze in jedem Drama, das erregende Moment, das der Klimax den Weg bereitet. Fabiou de Bèufort verrenkte den Hals. Oh je.
Das war wahrlich ein erregendes Moment.
Schon eher eine mittlere Katastrophe.
In Windeseile hatte Fabiou sein Pferd auf die linke – Catarinos
– Seite der Kutsche gebracht. «Ist etwas?», klang Catarinos Stimme aus dem Inneren, während sie zum Fenster hinausspähte. Ein Reiter wie ein Monument versperrte der Kutsche den Weg. Er saß auf einem prachtvollen, feurigen Rappen, die Hand ruhend auf dem kunstvoll gearbeiteten Korb des Degens, die Kutsche mit dem Blick aus seinen kalten dunklen Augen an den Platz bannend. Er war groß, muskulös, Schultern wie ein Bär, Hände, denen man es zutraute, einen Löwen zu erwürgen, und nur die eisgrauen Haare über seiner hohen Stirn verrieten, dass diese provenzalische Version von Herkules ihren Zenit längst überschritten hatte. «Wohin des Wegs?», fragte er, und auch seine Stimme war wie der Donner über den Bergen. Die Diener waren verstummt, Fabiou hatte den Kopf eingezogen, und auf den Feldern verneigten sich die Bauern, dass ihre Nasen beinahe den Erdboden berührten. Der Cavalié de Castelblanc parierte so ruckartig sein Pferd, dass das Tier erschrocken aufschnaubte. Einen Moment lang saß er wie erstarrt im Sattel und blickte den fremden Reiter mit geweiteten Augen an, dann kam wieder Leben in ihn und er zog mit einer 43
angedeuteten Neigung des Kopfes die grüne Samtkappe vom Kopf.
«Einen guten Tag wünsche ich», sagte er steif. «Auf Ais fahren wir, für den Sommer. Und Ihr? Zur Jagd, nehme ich an?»
«Wer ist es?», fragte die Dame Castelblanc neugierig.
«Der Baroun von Oppède.» Catarinos Interesse war erloschen, sie ließ sich zurück in die Kissen fallen.
«Oh», sagte ihre Mutter, angenehm berührt. Auch mit über sechzig übte Jean Maynier, der Baroun von Oppède, Richter und Erster Parlamentspräsident zu Ais, noch eine beträchtliche Faszination auf Frauen aus.
«Zur Jagd, ja», sagte der Baroun. «Ein wundervolles Wetter für die Jagd. Leider noch keine besonders gute Beute bislang. Die Herren kennen sich ja», fügte er mit einem Blick auf seine Begleiter hinzu.
Jean Mayniers Erscheinung hatte etwas derart Raumergreifendes, dass für andere Wahrnehmungen schlichtweg kein Platz blieb, und in der Tat fielen dem Cavalié erst jetzt die beiden Reiter zu seiner Rechten auf. Dem Alter nach hätten beide seine Enkel sein können. Der ältere, ein schwarzhaariger, attraktiver Edelmann um die zwanzig mit einem verwegenen kleinen Bart am Kinn, ähnelte in Kraft und Statur dem Baroun selbst, die gleichen breiten Schultern, derselbe muskulöse Körperbau. Der jüngere war ein halbwüchsiger Bursche von etwa sechzehn Jahren, etwas schmächtiger gewachsen, aber grundsätzlich wohl ein hübscher Junge, wenn man von der Unzahl dicker roter Pickel absah, die sein Gesicht momentan entstellten. Der ältere hörte auf den Namen Alexandre de Mergoult und war nach Fabiou der jüngste Baroun des Luberoun, seit den alten Baroun im vergangenen Winter ein Fieber dahingerafft hatte. Der jüngere hieß Jean de Mergoult, seines Zeichens kleiner Bruder.
Der Cavalié nickte den jungen Leuten grüßend zu. Man sah Alexandre de Mergoult in letzter Zeit häufig in Jean Mayniers Gesellschaft, was nicht weiter verwunderlich war; schließlich galt es als offenes Geheimnis, dass der ältere Mergoult ein natürlicher Sohn des Baroun d’Oppède war, und nachdem dessen einziger legitimer Sohn sich den Ketzern angeschlossen und aus dem Land hat44
te fliehen müssen, war Mergoult der einzige männliche Nachfahre von Rang, den Maynier hatte.
«Baroun!» Die Dame Castelblanc lehnte sich aus der Kutsche.
«Wie erfreulich, Euch noch zu sehen, vor unserer Abreise.» Sie klimperte mit ihren langen Wimpern.
Der Baroun nickte kühl, Courtoisie war nicht gerade seine Sache. «Nach Aix fahrt Ihr, ja?» – er sagte «Aix», wie die Franzosen
– «Interessant, wohl möglich, dass wir uns dort begegnen werden, in den kommenden Monaten, ich werde selbst in
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