Die Kinder des Ketzers
um die zarte Schicht nicht zu zerbrechen, fasste er ihn mit den Fingern und rollte ihn auseinander.
Es war Joan lou Pastres Vermächtnis.
Auf dem hauchdünnen Span stand in rußschwarzer, krakeliger Schrift:
SANTONOU
***
Loís kam bis zu einer kleinen Lichtung in Rufweite des Degrelho’schen Anwesens. Dort nahmen die dunklen Flecken dann überhand, die wie Linsensuppe aussahen und von allen Seiten in sein Gesichtsfeld fluteten; er drückte Cristino so fest an sich, wie er konnte, und sackte auf die Knie.
Sie wimmerte leise, als ihre Füße das nasse Gras berührten. «Ich will nach Hause», schniefte sie.
«Gleich», murmelte Loís. Der Regen hatte nachgelassen, war bereits zu schwach, das Blut abzuwaschen, das aus einer Platzwunde an seiner Stirn rieselte, und darunter war sein Gesicht so grau wie Mörtel.
«Ich will nach Hause», schluchzte Cristino.
Loís war zur Seite gesunken, gegen einen Baum. Er atmete hastig. «Es ist… nicht mehr weit», flüsterte er, «nicht mehr weit, Cristino.»
Sie weinte. Sie hatte Angst, ihr war kalt, ihre Kleider trieften vor Nässe. «Lass mich nicht allein, Loís», schluchzte sie und klammerte sich an ihn wie eine Ertrinkende. «Lass mich bitte nicht allein!»
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«Nein, natürlich nicht», murmelte Loís, «ich lasse Euch nicht allein, niemals.»
Und in diesem Augenblick brachen Pferde durch das Unterholz. Hoch zu Ross stürmten Alexandre de Mergoult, der junge St. Roque und der junge Brieul auf die Lichtung. Alexandre de Mergoult warf einen Blick in die Runde, erfasste die Situation auf einen Blick
– so meinte er zumindest – und war mit einem kraftvollen Satz aus dem Sattel. Und bevor Cristino auch nur das Geringste begriff, war er bei ihr und riss sie mit den wutentbrannten Worten: «Nimm deine dreckigen Finger von ihr, du Bastard!» von Loís weg. Cristino begann wieder zu heulen und stammelte mit tränenerstickter Stimme: «Alexandre! Oh, bin ich froh, dass Ihr da seid!
Ich habe ja so Angst gehabt!»
Alexandre de Mergoult sah aus wie Achilles bei der Eroberung Trojas. Rasend vor Wut, um genau zu sein. «Hat Euch dieser Dreckskerl etwas zuleide getan?», brüllte er, wobei sein Gesicht so rot anschwoll, dass es seinem purpurnen Jagdhabit Konkurrenz machte.
Cristino betrachtete ihn verständnislos. «Angetan?», fragte sie verwirrt.
Mergoult schien das als Antwort zu genügen. Er ließ Cristinos Arm los, griff sich seine Reitpeitsche und stürmte auf Loís zu. «Dafür wirst du büßen, du Stück Dreck!», brüllte er. «Ich schlag dich tot!»
Loís war kräftig, und selbst verletzt wie er war hätte er wohl eine gewisse Chance gegen Alexandre de Mergoult gehabt, wenn er sich gewehrt hätte. Doch natürlich würde er sich nicht wehren, konnte und durfte er sich nicht wehren. Schließlich war er ein Diener. Das war allen klar, auch Cristino. Die begriff zwar immer noch nicht, worum es eigentlich ging, aber eines verstand sie immerhin: dass Mergoult kurz davor war, Loís zu verprügeln. Und dass der es definitiv nicht verdient hatte. Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen, lass ihn in Ruhe, er hat doch gar nichts getan!
Sie sagte es nicht. Plötzlich hatte sie Angst, Alexandre würde sie auslachen.
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Auch Loís sagte nichts. Nur seine Augen waren weit und dunkel auf Alexandre de Mergoult gerichtet. Sein Gesicht war noch bleicher geworden. Mergoult holte aus.
Er wäre beinahe in den Matsch gefallen, denn irgendetwas hatte das äußere Ende der Peitsche ergriffen und so ruckartig zurückgerissen, dass er auf dem weichen Untergrund das Gleichgewicht verlor. Keuchend und mit den Armen rudernd stolperte er herum. Direkt hinter ihm stand ein Pferd, und auf diesem saß, den Peitschenriemen mit der linken Hand gefasst und ein unverschämtes Grinsen auf dem Gesicht, Arnac de Couvencour. «Na, Mergoult», meinte er spöttisch, «hast du mal wieder deinen gewalttätigen Tag?»
Alexandre de Mergoult schnappte nach Luft. «Du… du…» Ihm fiel offensichtlich kein Kraftausdruck ein, der geeignet war, seine Verachtung gegenüber Couvencour ausreichend zu umschreiben, und er brüllte stattdessen: «Dieser dreckige Hund von einem Diener wollte sich an Barouneto Cristino vergehen! Er gehört aufgehängt!»
«Red keinen Unsinn, Mergoult», sagte Couvencour. «Schau dir den Jungen doch an. Er ist nicht gerade in der Verfassung, sich an irgendjemandem zu vergehen, meinst du nicht?»
«Verdammt, ich habe es gesehen!», brüllte Mergoult.
«Ach!», spöttelte
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