Die Kinder des Ketzers
Pferd», sagte er zu Loís, der Cristino ängstlich hinterher sah.
«Nein, das ist nicht nötig, ich kann laufen, vielleicht solltet Ihr doch Cristino…»
«Blödsinn. Erstens kannst du eben nicht laufen, und ich denke, ich bin kaum stark genug, dich bis zum Haus zu tragen, und zweitens tut es Cristino ganz gut, wenn sie ein paar Minuten lang allein zurechtkommen muss», meinte Arnac de Couvencour.
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Loís schien wenig überzeugt. «Wenn ihr bloß nichts passiert…», murmelte er.
Arnac seufzte tief und unglücklich. «Junge, du bist verrückt.»
«W…was?», fragte Loís verwirrt.
«Du liebst sie, nicht wahr?», fragte Arnac mit einem traurigen Lächeln.
Loís wurde kreidebleich. «Was… wie… nein… nie würde ich wagen…»
«Natürlich würdest du nie wagen. Aber du liebst sie trotzdem, das ist ja wohl kaum zu übersehen. Das war mir schon klar bei dem Überfall in der Coumbo. All die hohen Herren haben bloß herumdiskutiert, und nur du bist losgerannt in den Wald, mit bloßen Händen, um sie zu retten. – Himmel, Loís, sie wird dich niemals lieben. Und selbst wenn, gäbe es keine Chance für euch beide. Du bist ein Diener und sie eine Barouneto. Du hast gesehen, wie manche Leute auf diese Konstellation reagieren.»
«Ich weiß», murmelte Loís, während er sich mit Arnacs Hilfe auf das Pferd zog. Der Regen wurde wieder stärker. Arnac griff nach den Zügeln und führte das Tier durch die Bäume.
«Liebt Ihr sie denn?», fragte Loís, kurz bevor sie die Lichtung erreichten, die das Anwesen umschloss.
Arnac ging vorweg, so dass Loís sein Gesicht nicht sehen konnte.
«Wie kommst du denn darauf?», fragte er.
«Weil Ihr immer da seid, wenn ihr Gefahr droht», antwortete Loís. Ihm war schwindelig, es fiel ihm schwer, sich überhaupt im Sattel zu halten.
«Weißt du, Loís», sagte Arnac de Couvencour, «es gibt unterschiedliche Arten der Liebe.» Und damit beschleunigte er seinen Schritt, das Pferd hinter sich herziehend, und beendete so das Gespräch.
***
So ärgerlich Cristino war – und sie war gewaltig ärgerlich, ärgerlicher als je zuvor in ihrem Leben –, kaum dass sie die offene Wiese erreicht hatte, bereute sie es schon, nicht bei Arnac geblieben zu sein. Das Gewitter war offensichtlich nur weitergezogen, um im 466
Bogen zu ihnen zurückzukehren. Obwohl es erst früher Nachmittag sein konnte, war die Wiese im Dämmerlicht versunken, und ringsum zuckten Blitze über dem Wald, gefolgt von fernen, aber noch hinreichend beängstigenden Donnerschlägen. Der Regen hatte wieder zugenommen – nicht dass es einen Unterschied machte, sie war sowieso nass bis auf die Haut, dennoch konnte sie sich kein ekelhafteres Gefühl vorstellen als das beständige Tropfen des Wassers aus ihren verunstalteten Haaren. Ihr Stolz war dann doch zu groß, als dass sie umgekehrt wäre, und so stakste sie in ihren Seidenschühchen jammernd durch das feuchte Gras, bis endlich, endlich der feste Hof erreicht war und ein Diener auf sie zueilte, ihr einen Schirm über die triefenden Locken hielt und sie rasch zur Eingangstür geleitete. Doch es kam noch besser: kaum hatte sie die Schwelle überschritten, als ihr bereits ein besorgter Victor entgegengelaufen kam. «Cristino, da seid Ihr ja!», rief er erleichtert. «Wir haben uns schon Sorgen gemacht!
Mein Gott, wie seht Ihr aus, Ihr Arme!»
Endlich erhielt sie die ihrem Zustand angemessene Aufmerksamkeit. Cristino heulte halb vor Genugtuung. «Es war so furchtbar!», schluchzte sie. «Mein Pferd ist durchgegangen und wäre beinahe in eine Schlucht gestürzt. Und ich bin so nass geworden, und ganz schmutzig, schaut nur! Und dann war Senher Couvencour richtig ekelhaft zu mir und hat mich alleine zurücklaufen lassen!» Die Kränkung darob ließ noch mehr Tränen in ihren Augen erscheinen.
«Nun ist ja alles gut, Ihr seid ja da», beruhigte sie Victor. «Ich werde Euch ein Zimmer zeigen, wo Ihr Euch frisch machen könnt, und ich sage den Dienern Bescheid, dass sie Euch trockene Sachen bringen.»
«Danke sehr», röchelte Cristino, die auf einmal ob der Aufregungen so geschwächt war, dass sie sich auf Victors Arm stützen musste, was dieser selbstverständlich bereitwillig zuließ. Der Tag, so schrecklich er begonnen hatte, schien allmählich doch an Qualität zu gewinnen. Cristinos Erleichterung hielt nicht allzu lange vor. Sie wankte gerade auf Victor gestützt, der bei näherem Hinsehen vielleicht doch nicht so unattraktiv war, über den düsteren Gang
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