Die Kinder des Ketzers
bezogen, dort, wo die niederen Handwerker und Tagelöhner hausten und keiner fragte, wer und woher. Dunkel war es, da die einzigen Fenster zwei Luken im Dach waren, die man aufdrücken und mit einer eisernen Strebe feststellen konnte, welche der Fremde aber – denn ein Fremder war er, wie seine Sprache und seine Kleidung verriet – stets geschlossen hielt. Das einzige Licht in dem düsteren Alkoven rührte von einer beschlagenen alten Öllampe her. Es störte ihn nicht. Er gehörte zu den Geschöpfen, die das Licht scheuten.
Der Mann, der Hector Degrelho getötet hatte, saß an diesem Junimorgen im Schein der Lampe und reinigte seine Arkebusen. Es waren zwei hervorragende Stücke; moderne Radschlossarkebusen, ohne die Verzierungen und Gravuren, wie sie die hohen Herren liebten, denen eine Arkebuse vor allem dazu diente, sie in ihrem Waffensaal eindruckschindend an die Wand zu hängen. Diese Arkebusen waren aus einfachem, schmucklosem Stahl, die Farbe ein rußiges Schwarz, doch sie hatten eine Auslösezeit von knappp drei Sekunden, trafen ihr Ziel aus hundert Schritt Entfernung und versagten nie. Der Fremde hatte den Lauf ausgeputzt und machte sich daran, die Scharniere zu reinigen und zu ölen.
Er selbst hätte sich wohl nie als der Mann gesehen, der Hector Degrelho tötete. Er hatte wichtigere getötet; Grafen, Fürsten, hohe kirchliche Würdenträger, Menschen, von deren Sein oder Nichtsein das Schicksal von Völkern abhing – was war schon ein Hector Degrelho im Vergleich zu diesen. Abgesehen davon interessierten ihn die Namen seiner Opfer nur insofern, als sie zum Aufspüren derselben von Bedeutung waren; sie waren anonyme, gesichtslose Gestalten, Nummern auf einer Liste, flüchtiges Wild, das einen Moment der freudigen Erregung in die Nüchternheit des Daseins warf.
Jagdbeute, um genau zu sein.
Der Fremde ging dazu über, Pulver in den Lauf zu füllen. Seine Arkebusen waren immer geladen, Tag und Nacht. Für den Fall des Falles. Er stopfte das Pulver fest und holte aus dem kleinen Beutel, den er um die Hüfte trug, eine Bleikugel hervor.
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Nicht, dass er Hector Degrelho vergessen hätte. Fehlschläge vergaß er niemals. Die Bleikugel kullerte in den Lauf und arretierte mit einem leisen Plop. Der Fremde visierte über den Lauf der Waffe hinweg auf den Türpfosten.
Sie hatten das Wild auf einer Jagdlichtung gestellt, an einem sonnigen Nachmittag im Mai, an dem sich Lerchen singend in einen blauen Himmel aufschwangen und Rehe witternd im Unterholz ästen. Noch heute stand ihm jedes Detail dieser Szene in unfassbarer Klarheit vor Augen; noch heute sah er jedes Grasbüschel, jeden Stein am Wegrand mit einer Deutlichkeit vor sich, als wäre es eben gewesen.
Besonders die Frau. Er hatte sie in der Kutsche erwartet, doch stattdessen war sie auf einem Pferd gesessen, in einem Männersattel, und im ersten Moment hatte er sie nicht erkannt, denn sie war gekleidet wie ein Mann, und nur die wehenden langen Haare verrieten ihr Geschlecht. Doch auch so war sie die schönste Frau, die er je gesehen hatte, anmutig ihre Bewegungen, strahlend die Augen, berauschend ihre Formen, ihr Gesicht. Als sie vom Pferd sprang, um die Tür der Kutsche aufzureißen, glich sie einer Tänzerin, und als sie dann, den Jungen an der Hand, über die Lichtung rannte, waren ihre Bewegungen leichtfüßig und geschmeidig wie die eines fliehenden Rehs, und ihr Haar schwebte auf dem Wind wie flüssiges Gold. Er hätte ihr stundenlang folgen können, sie nur beobachten, wie sie lief, wie ihre langen Beine gewandt ihren Weg nahmen. Doch er hatte keine Zeit dazu, und ihm wurde nicht einmal das Vergnügen zuteil, sie selbst zu töten. Da waren die Diener. Kopflosen Hennen gleich liefen sie über die Lichtung, ein paar blieben liegen, getroffen von den Waffen der Kriegsknechte, andere flohen, stürzten sich ins Unterholz, eine schreiende, kreischende Herde. Und da war das Mädchen. Sie stand in der Mitte der Lichtung, stumm, starr, blaue Augen weit auf die Kämpfenden gerichtet. Sie rührte sich nicht, auch nicht, als sie sie riefen, Agnes, Agnes, der Edelmann, der auf dem Pferd saß und das andere Mädchen in den Armen hielt, sie blieb nur stehen und blickte aus ihren riesengroßen Meeraugen in die Welt. Und dann kam das dritte Mädchen herbeigeschossen, ein kleiner schwarzhaa579
riger Blitz in einem Kleid aus dunklem Samt, riss die Kleine in ihre Arme und rannte auf die Pferde zu. Nehmt Agnes, hörte er sie schreien, ich muss zu Daniel! Es
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