Die Kinder des Ketzers
sich von Catarinos Worten zu erholen, und während dieser Sekunden machte ihr Gesicht einen erstaunlichen Farbwechsel von kreideweiß über dunkelgrün zu feuerrot durch, den auch die fingerdicke Puderschicht nur unzureichend abdeckte. Dann entlud sich ihre Wut in einem Schrei, der so schrill war, dass der Kandelaber klirrte. «Du Miststück», kreischte sie, «du Metze, du Bauerntrampel!», und wie eine Wildkatze sprang sie auf Catarino los, um ihr, ebenso wildkatzengleich, ihre Krallen ins Gesicht zu schlagen. Catarino zuckte zurück, ihre Schminke war verrutscht, und auf ihrer rechten Wange zeichneten sich drei feuerrote Schrammen ab. Für einen Augenblick glotzte sie Alessia entgeistert an, dann beschloss sie, ihren Vorsatz in die Tat umzusetzen, und schlug Alessia die Faust ins Gesicht. Der Erfolg war im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend. Alessia kippte rückwärts, riss einen Diener mit um, der auf einem 590
silbernen Tablett Weingläser balanciert hatte – zum Teil gefüllt
–, was zur Folge hatte, dass ein beträchtlicher Teil der Gläser auf den Boden knallte und zerschepperte, während der gute Rebensaft in rot und weiß durch die Gegend spritzte, einige Umstehende durchnässte und Alessias weiße Wolke mit grauen und roten Gewitterflecken versah.
Es war einen Moment lang erstaunlich still, zumal die Musikanten zu spielen aufgehört hatten und, der menschlichen Natur entsprechend, neugierig die Hälse verrenkten. Nur die Laterna magica drehte sich weiter und ließ grüne Einhörner und rote Harpyien über die verdatterte Festgesellschaft gleiten. Dann besannen sich einige jungen Herren ihrer Kavalierspflichten und eilten, Alessia vom Boden aufzuheben, die sogleich jammerte und ächzte, als habe sie sich sämtliche Knochen gebrochen. Letztlich war sie, das sahen alle, noch glimpflich weggekommen; während der Diener ziemlich unglücklich in den Scherben gelandet war und einige blutende Schnittwunden davongetragen hatte, war Alessia diesbezüglich unverletzt geblieben; allerdings begann ihr rechtes Auge bereits in erstaunlichem Dunkelrot zu schimmern. Jetzt kam Bewegung in die Umstehenden. Artus de Buous fischte eine Serviette vom Buffet und tupfte damit wenig effektiv auf den Weinflecken auf Alessias Kleid herum. Andréu d’Estrave meinte, man müsse Eis auf das Auge legen, das würde helfen, habt ihr ‘nen Eiskeller, Jean? Sébastien de Trévigny fing wieder an mit dem Salz, das man auf Weinflecken streuen müsse, Rezept seiner Großmutter. Victor winkte seinen Diener herbei, Brouche, bring mir ein frisches Hemd aus der Tasche – das seine hatte einen Rotweinfleck in Form der Britischen Inseln auf der rechten Brust. Irgendjemand half dem bedauernswerten Diener auf die Beine, während ein anderer Dienstbote die Scherben auflas und nach einem Lappen rief. Claudia de Buous klopfte Catarino auf die Schulter. «Ha, das war ein Schlag!», flüsterte sie begeistert. Auch sie war wohl nicht unbedingt Alessias allerbeste Freundin. «Diese blöde Angeberin. Schaut euch doch nur den Schmuck an!» Sie zupfte Fabiou am Ärmel, damit auch dieser den Schmuck bewunderte. «Die trägt mehr um den Hals, als ganz Buous wert ist! Und das, wo ihr Papa bei einem Juden in der Kreide 591
steht. Wetten, dass sie sich das anderweitig verschafft? Kein Wunder, dass sie so scharf darauf ist, mit jedem Kerl ‘rumzumachen!»
Catarino strahlte in der Tat so glücklich, als sei Weihnachten vorverlegt worden. «Der hab’ ich’s gegeben, nicht wahr, Fabiou, der hab’ ich’s gegeben!», sagte sie ein ums andere Mal, während die jammernde Alessia von ungefähr acht Kavalieren aufgehoben und wie in einem Trauerzug aus dem Raum getragen wurde. «Da hinten am Gang ist ein Zimmer, da kann sie etwas ruhen», hörte man Alexandre de Mergoults Stimme in den Raum wehen.
Fabiou machte ein wenig begeistertes Gesicht. «Catarino, das gibt Ärger», stellte er fest.
«Wieso? Die hat doch angefangen!», schrie seine Schwester.
«Ja, aber wenn Frederi erfährt, dass du dich geprügelt hast…»
«Frederi!» Catarino spuckte verachtungsvoll den Namen aus.
«Der soll ganz ruhig sein, dieser… perverse Hund!»
«Catarino, Tante Beatrix hat gesagt…»
«Jaja, Tante Beatrix wollte uns beruhigen, weil’s ihr selbst peinlich war. Aber ich weiß genau, wie das war. Erst hat er versucht, meinen Vater zu perversen Dingen zu verleiten, und dann hat er meine Mutter genommen, kaum dass Vater unter der Erde war. Aber der soll nur ein Wort
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